Geraubte Erinnerung
Land unterhielten, taten Rachel und ich, als schliefen wir, und hielten uns unter der Decke an der Hand. Endlich rollte die Maschine zur Startbahn und raste donnernd in den Nachthimmel hinauf.
»Gott sei Dank!«, flüsterte Rachel, als das Fahrwerk von der Betonpiste abhob.
Wir mussten in elf Stunden die Einreisekontrolle am Flughafen von Tel Aviv hinter uns bringen, doch nachdem wir es bis in die Luft geschafft hatten, war die Schlacht bereits zur Hälfte gewonnen. Ich versuchte, mich auf diesen kleinen Sieg zu konzentrieren. »Alles in Ordnung mit dir?«, fragte ich Rachel.
Sie öffnete die Augen, kaum weiter von mir entfernt als die Breite des Mützenschirms, und ich sah Emotionen darin, die ich nicht lesen konnte.
»Ich muss dir ein paar Fragen stellen, David«, sagte sie. Sie klang mehr wie die Analytikerin, die ich gekannt hatte, bevor wir ein Paar geworden waren. »Wir fliegen nach Jerusalem, und ich muss dem Warum auf den Grund gehen. Ich möchte, dass du diese Unterhaltung als eine Sitzung betrachtest.«
»Nein. Wenn du mir Fragen stellst, dann stelle ich dir auch Fragen. Und du musst genauso ehrlich antworten, wie ich es tun werde. Soweit sind wir inzwischen.«
Sie zögerte, doch dann nickte sie. »Einverstanden. Du hast mir erzählt, du wärst Atheist. Du hast gesagt, deine Mutter hätte an etwas geglaubt, das größer war als die Menschen, doch nicht in einer religiösen Gemeinschaft. Was ist mit deinem Vater? War er ein erklärter Atheist?«
»Nein. Er glaubte einfach nicht an das konventionelle Konzept von einem Gott. Einem Gott, der all seine Aufmerksamkeit auf die Menschen richtet. Dad war Physiker, und Physiker sind ganz allgemein eine skeptische Bande.«
»Hat er an irgendeine Form eines höheren Wesens geglaubt?«
Mein Vater war nicht der Typ gewesen, der sich oft in kosmischen Dingen ergangen hatte, doch es hatte einige wenige Gelegenheiten gegeben – beim Camping in den Bergen, unter einem von Sternen übersäten Nachthimmel –, da hatte er mit meinem Bruder und mir über die Dinge gesprochen, an die er wirklich glaubte.
»Dad hatte ein einfaches Konzept über das Wesen der Dinge. Einfach, aber tiefgründig. Er sah die Menschen nicht getrennt vom restlichen Universum, sondern als Teil davon. Er hat immer gesagt: ›Die Menschheit ist der bewusst gewordene Teil des Universums.‹«
»Habe ich das nicht schon mal gehört?«
»Vielleicht. Ich habe New-Age-Gurus wie Deepak Chopra genau das Gleiche sagen hören. Allerdings hat mein Vater es fünfundzwanzig Jahre vorher gesagt.«
»Was glaubst du, was er damit gemeint hat?«
»Genau das, was er gesagt hat. Er hat uns immer daranerinnert, dass jedes Atom in unserem Körper einst ein Teil eines fernen Sterns war, der irgendwann explodiert ist. Er hat darüber gesprochen, wie die Evolution sich vom Einfachen hin zum Komplexen bewegt und dass die Intelligenz des Menschen die höchste bekannte Stufe der Evolution sei. Ich erinnere mich, dass er einmal erzählt hat, das Gehirn eines Frosches wäre weit komplexer als das Innere eines Sterns. Er betrachtete das Gehirn des Menschen als die ersten Neuronen des Universums, die zu Leben und Bewusstsein gekommen wären. Ein Funke in der umgebenden Dunkelheit, der darauf wartete, das Feuer zu verbreiten.«
Rachel sah mich nachdenklich an. »Das ist eine wunderschöne Vorstellung. Nicht gerade eine religiöse Ansicht, doch eine, die voller Hoffnung ist.«
»Und praktisch obendrein. Wenn wir der Teil des Universums sind, der ein Bewusstsein entwickelt hat, dann haben wir die moralische Pflicht zu überleben, um das Geschenk des Bewusstseins zu erhalten. Und um dies zu bewerkstelligen, müssen wir in Frieden miteinander leben. Und daraus kann man schließlich eine funktionierende Gruppe von Vorschriften und Regeln ableiten, Gesetze, Ethik, einfach alles.«
Rachel dachte über meine Worte nach. »Teilst du die Ansichten deines Vaters über das Universum?«
»Das habe ich getan, bis vor zwei Wochen jedenfalls. Meine jüngsten Visionen wollen nämlich nicht so recht dazu passen.«
Sie legte eine Hand auf mein Knie. »Wir wissen nicht, wohin sie passen, in Ordnung? Und ich denke nicht, dass die Weltsicht deines Vaters die Existenz eines Schöpfers ausgeschlossen hat. Spürst du immer noch diese Angst, dass du sterben könntest, wenn du Jerusalem nicht vor deinem Kreuzigungstraum erreichst?«
Die unmittelbare Bedrohung der Gefangennahme durch die Polizei hatte mich von meiner Angst abgelenkt. »Ich
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