Geraubte Erinnerung
nicht vorstellen, was für Vorkehrungen das sein mochten. Ich hatte nicht gedacht, dass sie auch nur eine Menschenseele in den Vereinigten Staaten kannte. »Was für Vorkehrungen?«, fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf. »Besser, wenn nicht wissen. Ja? Ich okay.«
Aus irgendeinem Grund glaubte ich ihr. Die Erkenntnis, dass Lu Li doch nicht vollkommen hilflos und allein in ihrer Trauer zurückgeblieben war, veranlasste mich zu einer letzten Frage.
»In seinem Brief hat Andy geschrieben, wenn ihm etwas zustößt, sollte ich an seine goldene Taschenuhr denken. Was ist so Besonderes mit dieser Uhr?«
Lu Li sah mir lange in die Augen, bevor sie fast unhörbar leise antwortete: »Nicht Taschenuhr«, sagte sie. »Knopf.«
»Knopf?«
»Uhrenknopf.«
Ich schloss die Augen und versuchte mir Fieldings Uhrvorzustellen. Es war ein zerschrammtes, jedoch kostbares Erbstück; am Ende der Uhrkette befand sich ein kleiner, brillantförmiger Kristallknopf.
»Der Kristall?«, fragte ich.
Lu Li lächelte. »Doktor David kluger Mann. Finden heraus.«
9
G eli Bauer hielt es nicht in ihrem Sitz. Sie rannte in ihrem Kontrollzentrum auf und ab und schrie John Skow an, der in ihrem Headset zu hören war. In seiner Gegenwart hatte sie noch nie die Geduld verloren, doch ohne die Rückendeckung von Peter Godin erwies Skow sich als nervtötend halsstarrig.
»Haben Sie denn nicht ein Wort von dem kapiert, was ich Ihnen gesagt habe? Sehen Sie denn nicht, was da vor sich geht?«
»Sie haben mir Folgendes gesagt«, antwortete Skow mit herablassender Stimme. »Dr. Tennant und Dr. Weiss haben die trauernde Witwe besucht und ihren Hund ausgeführt. Dr. Weiss und Dr. Tennant haben sich geküsst, dann fuhr Dr. Weiss in einem Taxi nach Hause.«
Geli schloss die Augen und versuchte, ihren Zorn zu unterdrücken. »Tennant ist in die Garage gefahren und hat das Tor geschlossen, bevor er nach Hause fuhr. Offensichtlich hat er etwas aus dem Haus Fieldings mitgenommen, das wir nicht sehen sollten!«
»Das wäre möglich«, erwiderte Skow. »Aber soweit Sie wissen, ist er nun auf dem Weg nach Hause, oder? Wo liegt das Problem?«
»Wir konnten nicht ein verdammtes Wort hören! Sie haben die Wanzen unschädlich gemacht, genau wie in Tennants Haus! Und Weiss hat ihren Saab vor Tennants Haus stehen lassen, anstatt sich vom Taxi dorthin fahren zu lassen, um den Wagen zu holen! Warum um alles in der Welt sollte sie das tun? Vielleichtwill Tennant fliehen oder sogar an die Öffentlichkeit gehen! Oder beides!«
»Ich glaube, jetzt projizieren Sie Ihre eigene Paranoia in Tennant.«
»Kurt Bock hat gehört, wie sie sich über die Nebenwirkungen von MRI unterhalten haben.«
»Das sind doch Kinkerlitzchen. Aber das konnten Sie natürlich nicht wissen. Die Super-MRI-Apparatur ist Tennants ethische Lieblingssorge, und sie hat überhaupt nichts mit dem zentralen Problem zu tun.«
»Aber sie haben sich mehr als zehn Minuten unterhalten, bevor das Thema zum MRI wechselte! Kurt Bock meint, ein Diktiergerät gesehen zu haben.«
Skow seufzte. »Und was soll ich nun Ihrer Meinung nach deswegen unternehmen?«
»Schalten Sie die beiden aus.«
Der NSA-Mann verschluckte sich fast. »Habe ich Sie richtig verstanden?«
»Ja. Wir müssen davon ausgehen, dass Weiss sämtliche Einzelheiten über Project Trinity erfahren hat sowie von Tennants Vermutungen betreffend den Tod Fieldings.«
»Dr. Weiss ist Zivilistin und hat gegen keinerlei Gesetz verstoßen.«
»Wenn wir sie nicht ausschalten, bringen Sie die beiden wenigstens zum Verhör herein!«
Das darauf folgende Schweigen schien nicht enden zu wollen. »Haben Sie jemanden auf Dr. Weiss angesetzt?«, fragte Skow schließlich.
Sie hatte Kurt damit beauftragt. »Meinen besten Mann«, sagte sie. »Er könnte mit Leichtigkeit einen Unfall arrangieren.«
Als Skow diesmal antwortete, war seine Stimme kalt wie Eis. »Hören Sie mir jetzt genau zu, Geli. Ihr Mann wird dem Taxi bis zum Haus von Dr. Weiss folgen und dann die Observation abbrechen. Er wird nicht zulassen, dass sie ihn sieht. Er wird nicht einmal laut in ihre Richtung atmen, haben Sie verstanden?«
»Was?«
»Rufen Sie Ihren Kettenhund zurück. Und Ihr Team, das Tennant folgt, wird nach seiner Rückkehr nach Hause ebenfalls abgezogen. Lassen Sie einen Mann als Überwachungsposten zurück, wie das üblich ist, und nichts weiter.«
Geli hatte ihre Stimme kaum noch in der Gewalt. »Die Sicherheit des Projekts ist in Gefahr. Wenn wir zulassen, dass die
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