Geraubte Erinnerung
hatte ein Überwachungswagen in der Nähe geparkt, der sich entfernt hatte, als ich näher gekommen war. Nachdem ich die heikle Schachtel aus dem Kofferraum genommen hatte, war ich ins Haus gegangen und hatte bei Rachel angerufen, um mich zu überzeugen, dass auch sie unbehelligt geblieben war. Danach hatte ich zwei Stunden lang wachgelegen und in der Dunkelheit auf Geräusche eines Einbruchsgelauscht, während ich über Fieldings Taschenuhr nachdachte. Es war ein abgegriffenes, zerkratztes altes Stück, golden, mit einem vergilbten Zifferblatt und römischen Zahlen darauf. Nicht die Uhr, hatte Lu Li gesagt. Der Knopf. Ich hatte Fielding einmal gefragt, was es mit dem Kristallknopf am Ende der Uhrkette auf sich hätte. Er hatte geantwortet, er habe ihn von einem tibetanischen Mönch in der Nähe von Lhasa bekommen. Der Kristall würde für ein unfehlbares Gedächtnis sorgen. Fielding hatte lauthals gelacht, als er mir diese Geschichte aufgetischt hatte, doch mir war der Witz verborgen geblieben. Jetzt begriff ich.
Eine neue Computertechnologie, die im Verlauf von Project Trinity perfektioniert worden war, bestand in der holographischen Speicherung von Daten. Statt in Mikrochips wurden die Daten in den Molekülen stabiler Kristalle abgelegt. Die Ingenieure von Trinity benutzten Laser, um die Daten zu lesen und zu schreiben, und die symmetrisch angeordneten Atome in einem Kristallgitter konnten gewaltige Mengen an Informationen aufnehmen. Die Kristalle, die ich im holographischen Labor von Trinity gesehen hatte, waren so groß wie Fußbälle, doch ich sah keinen Grund, warum man nicht auch kleinere Kristalle benutzen konnte. Beispielsweise von der Größe von Fieldings Uhrenknopf.
Irgendwie war es dem genialen Engländer gelungen, Trinity-Daten in seinen Kristallknopf zu laden. Und weil niemand außer dem inneren Zirkel von Wissenschaftlern und Ingenieuren wusste, dass dies auch nur möglich war, konnte er das Gebäude nach Belieben betreten und verlassen, ohne dass jemand Verdacht schöpfte.
Doch warum sollte Fielding Informationen stehlen?
Um sie an den Meistbietenden zu verkaufen? Fielding hatte zur alten Schule gehört. Selbst wenn er dringend Geld gebraucht hätte – Andrew war der Letzte, den ich der Firmenspionage verdächtigt hätte. Hatte er vielleicht heimlich einer fremden Ideologie angehangen? Oder sich von einer Ideologie verabschiedet? War er ein politisch naiver Wissenschaftler, der glaubte, alleNationen sollten Zugang zu den neuesten Technologien erhalten? Vielleicht. Doch ich konnte mir nicht vorstellen, dass Andrew einem »Schurkenstaat« etwas so Machtvolles an die Hand geben wollte wie einen Trinity-Computer. Wenn man ihn manchmal reden gehört hatte, konnte man eher zu der Überzeugung gelangen, dass er am liebsten keiner Nation der Welt ein solches Instrument überlassen hätte, nicht einmal den Vereinigten Staaten.
War es das? Hatte Fielding gegen Project Trinity und dessen Verwirklichung gearbeitet? Es erschien mir noch am wahrscheinlichsten, doch ich verfügte nicht über ausreichende Informationen, um sicher zu sein. Und ohne Andrews Uhr konnte ich nichts beweisen.
Ich duschte so heiß, dass ich mich beinahe verbrühte; dann zog ich Khakihosen und ein Sportjackett an und ging rasch zu meinem Wagen, während ich versuchte, nicht zu sehr über das nachzudenken, was ich tat. Mein primäres Ziel, warum ich zur Arbeit fuhr, war die Beschaffung von Andrews Taschenuhr, doch in Wahrheit hatte ich keine große Wahl. Wenn ich zu Hause blieb, würde ich nur weitere Aufmerksamkeit der NSA auf mich ziehen, und wenn ich flüchtete – was Lu Li inzwischen getan hatte, wie ich hoffte –, würde ich sämtliche Ressourcen der Agency auf mich lenken. Doch falls es mir gelang, die Illusion von Normalität noch ein wenig aufrechtzuerhalten – bis der Präsident sich mit mir in Verbindung gesetzt hatte –, war ich vielleicht in der Lage, Fieldings Tod zu rächen.
An einem guten Tag mit wenig Verkehr benötigte ich zwanzig Minuten von meinem Haus in einem Vorstadtbezirk von Chapel Hill bis zum Trinity Complex. Der Triangle-Technologiepark, eine manikürte Oase aus Forschungsstätten großer Unternehmen, lag zwischen Raleigh und Durham und hatte seinen Namen nach dem Dreieck, das aus der Duke University, der University of North Carolina in Chapel Hill und der North Carolina State gebildet wurde. Seine stillen Wege führten an ausgedehnten Rasenflächen vorbei, die an einen exklusiven Country Club
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