Geraubte Erinnerung
wollen, dann wäre ich bereits tot. Und falls man beschließt, mich bis morgen früh aus dem Weg zu räumen, gibt es nichts, das sie daran hindern könnte. Doch ich glaube, sie sind zu sehr besorgt über die Reaktion des Präsidenten, sollte mir etwas zustoßen. Wenn ich morgen früh noch am Leben bin, kann ich zur Arbeit gehen.«
Rachel seufzte und rieb sich mit den Fingerspitzen die Schläfen.
»Ich weiß nicht, was geschehen wird«, flüsterte ich. »Falls jemand zu Ihnen kommt und Fragen stellt, erzählen Sie so viel von der Wahrheit, wie Sie können. Sie sind zu mir nach Hause gekommen, weil ich die letzten drei Sitzungen versäumt habe. Ich erhielt einen Anruf von der Frau eines Freundes, der heute Morgen im Büro gestorben ist. Sie hat keine Familie hier, also haben Sie angeboten, mir zu helfen und sie zu trösten. Es ist uns gelungen, die Frau zu beruhigen, und wir haben ihren Hund ausgeführt. Das ist alles, was Sie wissen, Rachel.«
Sie betrachtete mein Gesicht im schwachen Licht der Straßenlaterne. »Das hatte ich jedenfalls nicht erwartet«, gestand sie.
»Ich weiß. Sie haben geglaubt, ich wäre verrückt.«
Sie biss sich auf die Lippe, eine fast mädchenhafte Geste. »Vermutlich, ja. Ein Teil von mir hat gehofft, dass ich mich irre. Aber jetzt habe ich Angst, David. Ich kenne mich mit psychiatrischen Problemen aus, aber das hier ist etwas anderes.«
Ich zog sie zu mir und flüsterte ihr ins Ohr: »Ich möchte, dass Sie alles vergessen, was ich Ihnen erzählt habe. Es sei denn, mir stößt etwas zu. Dann werden Sie sich wieder erinnern. Sie werden sich erinnern und die Wahrheit in die Welt hinausschreien.« Ich ließ sie los und blickte ihr in die Augen. »Ich komme nicht mehr zu Ihnen in die Stunde.«
Sie starrte mich an, als hätte ich gesagt, dass wir uns niemalswieder sehen würden, und tief im Innern war es genau das, was ich empfand.
»David …«
»Da kommt Ihr Taxi.« Ich erhob mich, als die Scheinwerfer vor dem Haus zum Stehen kamen, und spähte nach draußen, um sicher zu sein, dass sich auf dem Wagendach ein Taxilicht befand.
Rachel schüttelte hilflos den Kopf.
»Machen Sie sich keine Sorgen«, sagte ich. »Mir wird nichts geschehen. Sie haben mir sehr geholfen.«
»Ich habe überhaupt nichts für Sie getan, verdammt noch mal!«
Ich zog sie vom Fenster weg, zog das Diktiergerät aus der Tasche, nahm die Kassette heraus und drückte sie ihr in die Hand. »Wenn Sie helfen wollen – hier ist Ihre Chance.« Ich wollte sie wegschicken, zögerte dann aber. »Da wäre noch etwas, das Sie tun könnten.«
»Sagen Sie es mir.«
Ich deutete auf die beiden Ziploc-Beutel auf dem Sessel. »Kennen Sie jemanden an der Duke, der dieses Pulver auf infektiöse Substanzen oder Gift untersuchen kann?«
»Selbstverständlich. Ich kenne Jungs, die leben für diese Dinge!«
Eines der Sofakissen hatte einen Schonbezug. Ich entfernte ihn und legte die beiden Beutel hinein; dann reichte ich ihr den Bezug. »Seien Sie bitte sehr, sehr vorsichtig damit.«
Während ich zusah, schob Rachel sich den Bezug unter den Pullover; dann ging sie nach draußen ins Foyer. Ich hörte, wie die Haustür sich leise schloss. Durchs Fenster sah ich ihr hinterher, bis sie ins Taxi eingestiegen war. Das Taxi setzte in die Auffahrt zurück und fuhr über die Gimghoul Street davon.
Ich ging nach draußen zu meinem eigenen Wagen, ließ den Motor an und hupte kurz. Lu Li öffnete das Garagentor von innen. Ich fuhr hinein, und sie schloss das Tor wieder, kam zur Beifahrertür und stellte die Schachtel ihres toten Mannes auf denBeifahrersitz. Ich streckte die Hand nach ihr aus, packte sie am Arm und blickte ihr tief in die Augen.
»Sagen Sie mir die Wahrheit, Lu Li«, forderte ich sie auf. »Wissen Sie, was im Trinity Complex gebaut wird?«
Nach mehreren Sekunden Blickkontakt nickte sie schließlich langsam.
»Sprechen Sie niemals darüber«, warnte ich sie. »Mit niemandem. Niemals.«
»Ich bin Chinesin, David. Ich wissen, was passieren kann.«
Eine Sekunde lang musste ich an ihre Silhouette hinter der hell erleuchteten Glastür des Patios denken. Ein Ziel, das auf seinen Mörder wartet.
»Kommen Sie mit«, sagte ich unvermittelt. »Jetzt sofort. Steigen Sie ein und nehmen Sie Ihren Hund mit. Wir fahren weg. Ich werde auf Sie aufpassen.«
Auf ihren Lippen erschien ein trauriges Lächeln. »Sie guter Mann, wie Andrew. Keine Sorge, Doktor David. Ich bereits eigene Vorkehrungen getroffen.«
Vorkehrungen? Ich konnte mir
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