Geraubte Erinnerung
Wenn sie auf einer willkürlichen Basis vorgenommen wurden, bekam man schnell das Gefühl, in einer orwellschen Dystopie zu leben, ganz besonders dann, wenn man etwas zu verbergen hatte.
»Wollen Sie mich vielleicht mit Medikamenten betäuben?«, fragte ich. »Oder mich festbinden?«
Geli sah aus, als hätte sie die größte Lust dazu.
»Nein? Dann vergessen Sie’s.«
Sie hob einen Finger und betastete ihre zerklüftete Narbe. »Ich verstehe nicht, warum Sie sich so unkooperativ verhalten, Doktor.«
»Das verstehen Sie sehr gut.«
»Sie verbergen etwas.«
»Ich schätze, damit wären wir schon zu zweit.«
»Sie versuchen, dieses Projekt zu untergraben.«
»Wie sollte ich das tun? Und warum? Das Projekt wurde bereits suspendiert.«
Geli betrachtete ihre Fingernägel, von denen zwei abgenagt waren bis auf das Bett. Vielleicht war diese Frau doch aus der Ruhe zu bringen. »Indem Sie sich an die Öffentlichkeit wenden«, sagte sie schließlich.
Da war sie. Die tiefsitzendste Angst eines jeden paranoiden militärischen Bewusstseins. »Das habe ich nicht getan.«
»Denken Sie darüber nach?«
»Nein.«
»Haben Sie mit dem Präsidenten gesprochen?«
»Sie meinen, jemals?«
Zorn schlich sich in ihre Stimme. »Ich meine seit Dr. Fieldings Tod.«
»Nein.«
»Sie haben gestern eine Nachricht im Weißen Haus hinterlassen.«
Ich spürte, wie ich errötete. »Ja.«
»Sie haben ein Münztelefon benutzt.«
»Und?«
»Warum?«
»Die Batterie meines Handys war fast leer.« Eine schlichte Lüge, die sie unmöglich überprüfen konnte.
»Warum haben Sie nicht gewartet, bis Sie zu Hause waren?«
»Ich war in der Stimmung.«
»In der Stimmung, den Präsidenten der Vereinigten Staaten anzurufen?«
»Das ist richtig.«
»Wegen Dr. Fieldings Tod?«
»Unter anderem.«
Sie schien ihre nächsten Worte mit großem Bedacht zu wählen. »Sie haben dem Weißen Haus erzählt, Sie wollten nicht, dass die übrigen führenden Mitglieder des Projekts über Ihren Anruf informiert werden.«
Mein Blutdruck sackte in den Keller. Woher wissen sie, was ich während des Gesprächs am Münztelefon gesagt habe? Es musste sich um ganz normale Routineüberwachung handeln, nicht um das, was die lokale Polizei oder das FBI machten. Die NSA zeichnete Tag für Tag Millionen privater Ferngespräche auf. Die Festplatten in den Kellern von Fort Meade wurden automatisch gestartet, wenn bestimmte Schlüsselworte in den Gesprächen vorkamen wie Plastik, Al Kaida, Verschlüsselung, RDX oder selbst Trinity. Ich erinnerte mich, dass ich »Trinity« gesagt hatte, sobald sich der Operator des Weißen Hauses gemeldet hatte, damit ich mit dem richtigen Kontaktmann verbunden wurde. Die NSA besaß aller Wahrscheinlichkeit nach eine Aufzeichnung meines Gesprächs von diesem Punkt an.
Ich richtete mich auf und sah Geli Bauer fest in die Augen. »Ich wurde diesem Projekt vom Präsidenten persönlich zugewiesen. Nicht von der NSA oder von John Skow oder Peter Godin. Ich bin hier, um sämtliche ethischen Probleme zu evaluieren, die sich im Verlauf der Arbeiten ergeben können. Falls ich zu der Entscheidung komme, dass ein solches Problem existiert, berichte ich unmittelbar dem Präsidenten. Niemand hier hat in dieser Angelegenheit ein Mitspracherecht.«
Die Handschuhe waren hingeworfen. Ich hatte soeben die Grenze zwischen mir und jedem anderen im Trinity Building gezogen.
Geli beugte sich vor und starrte mich herausfordernd an. »Wie viele Mobiltelefone besitzen Sie, Dr. Fielding?«
»Eins.«
»Haben Sie noch weitere Telefone?«
Klarheit kam über meine Gedanken wie ein auflösender Akkord. Sie wussten, dass ich das Weiße Haus angerufen hatte, doch sie wussten nicht, ob der Präsident in der Zwischenzeit zurückgerufen hatte oder nicht. Sie hörten meine Telefone ab – diejenigen zumindest, von denen sie wussten –, doch sie machten sich Sorgen wegen der Kommunikationskanäle, von denen sie nichts wussten. Wenn sie sich deswegen sorgten, hatten sie keine direkte Verbindung zum Präsidenten, und ich besaß eine Chance, ihn von meinen Vermutungen zu überzeugen.
»Rachel Weiss besitzt ebenfalls ein Mobiltelefon«, sagte Geli Bauer, während sie mich ganz genau auf ein verräterisches Zucken hin beobachtete.
Ich atmete langsam ein und achtete darauf, mit gleichgültiger Stimme zu antworten. »Ich kenne keinen Arzt, der keins besitzt.«
»Aber Sie kennen Dr. Weiss besser als jeden anderen Arzt.«
»Sie ist meine Psychotherapeutin, falls es das
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