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Geraubte Erinnerung

Geraubte Erinnerung

Titel: Geraubte Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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beobachtet. Selbstverständlich hatten sie. Sie hatten Fielding schließlich eben erst umgebracht, und sie mussten wissen, wie sein bester Freund darauf reagierte. Das bedeutete, dass sie auch über Rachel Weiss Bescheid wussten.
    »Ich habe ihr einen Beileidsbesuch abgestattet«, sagte ich.
    »Sie haben mit Lu Li Fielding über sensitive Informationen gesprochen. Mit einer chinesischen Physikerin.«
    »Ich habe nichts dergleichen getan.« Ich hatte eigentlich gedacht, Lu Lis Ehe mit Andrew Fielding hätte sie zu einer britischen Staatsbürgerin gemacht, doch ich wollte diese Diskussion jetzt nicht vertiefen.
    »Mrs Fielding ist verschwunden. Wir müssen mit ihr reden.«
    »Das klingt nach Ihrem Problem, nicht nach meinem.«
    Geli ignorierte meinen Sarkasmus. »Falls Sie ihr bei der Flucht geholfen haben, könnte man Sie wegen Verrats anklagen.«
    »Hat Lu Li Fielding ein Verbrechen begangen?«
    Gelis Gesicht verriet keine Emotionen. »Das müssen wir erst noch feststellen. Möglicherweise hat sie sich des Verrats mitschuldig gemacht.«
    Der Kristall, dachte ich plötzlich. Es muss um Fieldings Kristallknopf gehen. »Dann sind jetzt also beide Fieldings nicht mehr da. Das ist peinlich, nicht wahr?«
    Geli sah nicht verlegen aus. Sie ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Gestern Nacht hat Lu Li mir gesagt, sie hätte keine Nachricht wegen des Leichnams ihres Mannes erhalten«, sagte ich. »Sie war sehr aufgebracht.«
    »Das ist nicht mein Verantwortungsbereich.«
    »Was ist mit Fieldings persönlichen Gegenständen? Lu Li erinnert sich beispielsweise an eine goldene Taschenuhr, ein Familienerbstück.«
    Geli schürzte die Lippen, dann schüttelte sie den Kopf. »Ich erinnere mich nicht, eine Taschenuhr gesehen zu haben. Aber sobald Mrs Fielding sich bei uns meldet, werden wir das alles regeln.«
    Geli log, so viel stand fest. Sie konnte unmöglich zwei Jahre hier gearbeitet haben, ohne Fieldings Uhr Dutzende Male gesehen zu haben.
    »Ich denke, wir werden heute Morgen einen Polygraphentest durchführen«, sagte sie.
    Mir brach am ganzen Leib der kalte Schweiß aus. »Tut mir Leid, aber ich werde mich heute keinem Lügentest unterziehen.«
    Ihre Augen wurden schmal. Es war das erste Mal, dass ich mich einer solchen Bitte widersetzte. »Und aus welchem Grund?«
    »Ich habe gerade einen guten Freund verloren. Ich habe nicht gut geschlafen. Ich fühle mich entsetzlich. Mein Hund hat meine Hausarbeiten aufgefressen.«
    »Dr. Tennant …«
    »Und ich habe heute nicht die geringste Lust, mich auf Ihren faschistischen Scheiß einzulassen. Begreifen Sie jetzt?«
    Sie lehnte sich in meinem Sessel zurück und betrachtete mich mit wachsendem Interesse. »Der Arbeitsvertrag, den Sie unterschrieben haben, gestattet uns, Sie jederzeit einem Polygraphentest zu unterziehen. Sie haben Ihr Einverständnis also bereits gegeben.«
    Die Angst in meinem Bauch weckte in mir den Wunsch, mich auf sie zu stürzen und ihr ins Gesicht zu schlagen. Ich hatte mein ganzes Leben lang eine außergewöhnliche Freiheit genossen. Als Internist hatte ich meine eigene Praxis gehabt, und als Autor war ich lediglich an mein Thema gebunden gewesen. Doch in der oppressiven Atmosphäre von Trinity hatte ich eine Art geistiger Klaustrophobie entwickelt. Mein Vater hatte ähnliche Empfindungen erlebt, als er in Los Alamos und Oak Ridge an der Entwicklung nuklearer Waffen gearbeitet hatte. Und er hatte sich in seiner aktiven Zeit zahllosen polygraphischen Tests unterziehen müssen. Doch die Zeiten hatten sich geändert seit dem Kalten Krieg. Heutzutage verfügte die NSA über Lügendetektoren, die auf MRI-Technologie basierten, und im Gegensatz zu konventionellen Polygraphen besaßen sie eine Zuverlässigkeitsquote von einhundert Prozent.
    Das Prinzip war einfach: Man benötigte mehr Gehirnzellen zum Lügen, als wenn man die Wahrheit sprach. Selbst ein pathologischer Lügner dachte zuerst an die wahre Antwort, wenn man ihm eine Frage stellte. Erst danach erfand er seine Lüge und sprach sie aus. Diese Aktivitäten ließen sein Gehirn aufleuchten wie einen Weihnachtsbaum, und der MRI-Detektor zeichnete die Ergebnisse für die Vernehmer auf. Es war Fielding, der die MRI-Verhöre gestoppt hatte, mit dem Argument, dass unsere eigenartigen Symptome durch weitere magnetische Exposition verschlimmert werden könnten. Es war ein Sieg in Fieldings Krieg gegen die Invasion unserer Privatsphären, auch wenn konventionelle Polygraphensitzungen genügend Nerven kosteten.

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