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Geraubte Erinnerung

Geraubte Erinnerung

Titel: Geraubte Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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»Keine sehr realistische Überlegung, meinen Sie nicht?«
    »Ich bin mir da nicht so sicher. Die Hitlerfrage ist leicht beantwortet, zugegeben. Aber nehmen wir mal an, Sie könnten ins Jahr 1948 zurück und wüssten, dass Gandhi von Nathuram Godse ermordet wird – würden Sie Godse töten, um den Mord an Gandhi zu verhindern?«
    Ich dachte über die Frage nach. »Sie wollen wissen, wie weit ich die Kette der Ereignisse hinuntersteigen würde, nicht wahr? Würden Sie Hitlers Mutter ermorden?«
    Jetzt war es an Godin, zu lächeln. »Sie haben selbstverständlich Recht. Und meine Antwort lautet ja.«
    »Ich glaube, bei Ihrer Frage geht es um Kausalität. Hätte die Ermordung von Hitlers Mutter den Zweiten Weltkrieg verhindert? Oder wäre ein anderer Niemand aus der unzufriedenen Masse emporgestiegen und hätte Deutschlands Empörung über den Versailler Vertrag ausgenutzt?«
    Godin dachte nach. »Gut möglich. Also schön, nehmen wir mal an, wir schreiben das Jahr 1952, und Sie wissen, dass ein ungeschickter Labortechniker die Zellkulturen von Jonas Salk ruinieren wird. Die Heilung von Poliomyelitis wird verzögert, vielleicht um Jahre. Würden Sie diesen unschuldigen Techniker töten?«
    Ein merkwürdiges Summen war in meinem Kopf. Ich hatte das undeutliche Gefühl, dass Godin mit mir spielte, doch Peter Godin verschwendete niemals Zeit mit Spielen.
    »Gott sei Dank verschont uns die Wirklichkeit vor Dilemmata wie diesen«, sagte ich. »Wir sind lediglich im Nachhinein fähig, sie zu formulieren.«
    Godin lächelte reserviert. »Da bin ich mir nicht so sicher, Doktor. Hitler hätte in München aufgehalten werden können.« Er streckte die Hand aus und tätschelte meinen Arm. »Stoff zum Nachdenken, ganz bestimmt.«
    Er wandte sich ab und bog vorsichtig um die Ecke.
    Ich stand im Korridor und versuchte zwischen den Zeilen dessen zu lesen, was ich gehört hatte. Godin verschwendete niemals Worte. Er hatte nicht gedankenlos über die Geschichte oder Moral reflektiert. Er hatte im Gegenteil ganz offen über Mord gesprochen. Gerechtfertigten Mord, seiner Meinung nach. Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Godin hatte über Fielding gesprochen!
    Fieldings Tod war notwendig, hatte er gesagt. Fielding war unschuldig, doch er war einer größeren Sache im Weg und musste eliminiert werden.
    Als ich zu meinem Büro zurückging, wurde mir bewusst, dass ich zitterte. Niemand hatte mich nach meinem Anruf aus Washington gefragt. Niemand hatte meinen Besuch in FieldingsHaus erwähnt. Nicht ein Wort über Rachel Weiss. Und drei Tage Urlaub würden mir reichlich Zeit geben, mit dem Präsidenten zu sprechen. Vielleicht konnte ich sogar nach Washington fliegen.
    Was zur Hölle …?
    Ich stand in meiner Bürotür und erstarrte. Eine große, geschmeidige, blonde Frau mit stahlblauen Augen und einer hässlichen Narbe auf der linken Wange saß in meinem Sessel und starrte auf meinen Computerbildschirm. Geli Bauer. Wenn jemand in diesem Gebäude Andrew Fielding ermordet hatte, dann sie.
    »Hallo, Doktor«, sagte sie, und um ihre Lippen spielte die Andeutung eines Lächelns. »Sie sehen überrascht aus. Ich dachte, Sie hätten mich erwartet?«

11
    I ch stand wie vom Donner gerührt in meiner Bürotür. Meine Erleichterung war binnen einer Sekunde lähmender Angst gewichen, und die Tatsache, dass Geli Bauer eine Frau war, trug nichts dazu bei, meinen rasenden Puls zu beruhigen. Genau wie ihre handverlesenen Untergebenen war sie durchtrainiert und sehnig, und in ihren Augen lag ein raubtierhaftes Funkeln. Sie strahlte die eisige Zuversicht eines Weltklasse-Alpinisten aus. Ich konnte mir vorstellen, wie sie stundenlang nur an den Fingerspitzen über einem Abgrund hing. Es war schwierig, ihre Intelligenz in einem Inkubationstank voller Genies zu beurteilen, doch ich wusste aus früheren Gesprächen mit ihr, dass sie eine blitzschnelle Auffassungsgabe besaß. Sie behandelte alle Mitarbeiter des Projekts mit Ausnahme des inneren Zirkels wie Gefangene, die zur Zwangsarbeit verurteilt waren, doch dies schrieb ich der Tatsache zu, dass sie die Tochter eines einflussreichen Army-Generals war. Ravi Nara hatte Geli Bauer derb einen »Terminator mit Titten« genannt, doch in meinen Augen war sie eher ein Terminator mit Hirn.
    »Was kann ich für Sie tun?«, fragte ich endlich.
    »Ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen«, erwiderte sie. »Eine Routineangelegenheit.«
    Routine? Geli Bauer war im Verlauf der letzten zwei Jahre vielleicht ein halbes Dutzend

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