Geraubte Herzen
Fäustlinge aus und massierte ihre eisigen Fingerspitzen. »Das ist die einzige persönliche Information, die Sie mir je freiwillig gegeben haben, wissen Sie das?«
Sie versuchte, sich zu konzentrieren, aber nicht auf die Kraft seiner Finger und das fast schon schmerzliche Vergnügen, von einem Mann die Hände gewärmt zu bekommen. Zu ihrem Erstaunen trieben ihr seine Dienste die Tränen in die Augen.
Also antwortete sie schroff, um den Mangel an Gleichmut zu verbergen: »Dann machen Sie sich auf etwas gefasst. Ich verrate Ihnen noch etwas Persönliches: Ich habe beschlossen, mir von keinem Mann das Leben durcheinander bringen zu lassen.«
Falls ihn das entmutigte, versteckte er es gut. »Klingt nach Einsamkeit.«
»Nein, nach Vernunft.«
»Keine Männer? Für immer?«
»Nicht bis ich meinen Abschluss habe.«
»Gut.« Dieses herzerwärmende Lächeln huschte über sein Gesicht. »Ich hatte schon Angst, Sie wollten Nonne werden.«
»Ich bin nicht katholisch.« Sie machte eine Pause. »Was würden Sie tun, wenn ich wirklich Nonne werden wollte?«
»Mein Bestes, um Ihnen das auszureden.«
»Das dachte ich mir.« Sie lernte ihn langsam kennen. Dieser Mann ließ sich nicht von seinem Ziel abbringen.
Ja, sie lernte ihn langsam kennen, und das war schlecht. Sie wollte ihn nicht so genau kennen, und sie wollte definitiv nicht wissen, welche Ziele er verfolgte. Denn sie vermutete, dass eines dieser Ziele mit ihr zu tun hatte.
»Sie sind eine Pfarrerstochter und …«, spornte er sie an.
Sie realisierte, dass sie ihn schon eine ganze Weile lang
angaffte. »Oh! Ja. Und ich habe beschlossen, dass kein Mann mein Leben durcheinander bringt. Männer verlangen solche Sachen wie Aufmerksamkeit oder Sex, und bis ich mit der Ausbildung fertig bin, dauert es noch« - sie schluckte - »vier Jahre, und das auch nur, falls alles gut geht. Ich wünschte mir, Sie würden sich verantwortungsvoller benehmen.«
Er hatte doch die Stirn, verwirrt dreinzusehen. »Ich reibe Ihnen nur die Hände warm.«
»Sie haben diese Jeans an!«
Er starrte sie an, als wäre ihm das Studieren ihres Gesichts dabei behilflich, ihre Denkprozesse zu ergründen. »Möchten Sie, dass ich die Jeans ausziehe?«
»Sehr witzig.« Aber die Haut auf ihrer Brust prickelte bei dem Gedanken. »Es wäre mir lieber, Sie würden etwas weniger -« Sie wedelte mit der Hand auf und ab.
Er schaute an sich hinunter. »Weniger …?«
»Ja. Und dieses T-Shirt. Wem wollen Sie etwas vormachen? Sie sind nicht der T-Shirt-Typ.«
Er hatte die Stirn, beleidigt dreinzusehen. »Wenn ich nicht arbeite schon.«
»Polohemden. Ich bin sicher, dann tragen Sie Polohemden. Diese Dinger mit dem Kragen und dem kleinen Alligator auf der Tasche. Die sind bequem geschnitten, und das Material ist dick genug, dass es nicht so anliegt und …« Sie wedelte wieder mit der Hand. »Enthaltsam zu leben ist nicht einfach, aber ich habe herausgefunden, dass ich damit klarkomme, solange ich beschäftigt bin und der Versuchung aus dem Weg gehe. Ich würde Ihre Unterstützung zu schätzen wissen.« Na also. Sie hatte es ihm gesagt. Und ihn gewarnt.
Das Foyer hüllte sie in Wärme, und diesmal sah sie sich mit weniger Scheu und größerer Bewunderung um. »Ich
mag dieses Haus. Es ist anheimelnd. Gar nicht so, wie es von der Straße aus aussieht.« Sie fing an, den Schal abzuwickeln.
Er schob ihre Hände fort und machte es selbst. »Freut mich, dass es Ihnen gefällt.«
Ihr liefen schon wieder die Tränen zusammen. Die Zärtlichkeit der Geste und dass ein anderer Mensch sie einen Augenblick lang umsorgte, untergruben all die Jahre, in denen sie Unabhängigkeit erlernt hatte.
Griswald war ein gefährlicher Mann. Ein sehr gefährlicher Mann.
Sie schniefte.
Er griff in die Tasche seiner Jeans - sie musste sich peinlicherweise eingestehen, dass sie viel zu genau hinsah - und förderte ein weiches weißes Taschentuch zu Tage.
Sie nahm es, murmelte ein Dankeschön und tupfte sich die Nase. »Wenn ich aus der Kälte ins Warme komme, läuft mir immer die Nase.« Eine völlig überflüssige Erläuterung, aber besser, als ihn denken zu lassen, sie weine.
»Ich besitze gar kein Polohemd.«
Sie warf ihm einen ungläubigen Blick zu.
Aber er schien es vollkommen ernst zu meinen.
Okay. Dann trug er eben T-Shirts. Sie würde sich mit seinen T-Shirts schon arrangieren.
Sie blickte zu dem kristallenen Kronleuchter auf, studierte die glitzernden Kerzenhalter und die geschliffenen Glasornamente. »Irgendwie
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