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Gerechte Engel

Gerechte Engel

Titel: Gerechte Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Stanton
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beherbergte EBs Schreibtisch, drei Aktenschränke aus grauem Metall sowie einen Besucherstuhl. Hinter dem Paravent befand sich Brees Schreibtisch, der unmittelbar vor dem zur Bay Street gehenden Schiebefenster stand. Der Teppichboden entsprach dem in Büroräumen üblichen Standard und hatte – ebenso wie die Wände – eine Farbe, die Bree als undefinierbar bezeichnete. Das gesamte Mobiliar stammte, wie man schnell sehen konnte, aus zweiter, vielleicht sogar aus dritter Hand. Farbe, Bilder, Pflanzen fehlten noch, dachte Bree. Sie würde das ändern, sobald sie Zeit dafür fand.
    Nun setzte sie sich an ihren Schreibtisch, wo sie eine Nachricht in EBs charakteristischer Handschrift vorfand:
    HABE IN DER ABLAGE GESUCHT UND DAS PROTOKOLL DER VORVERHANDLUNG VOM 13. DEZEMBER 1952 GEFUNDEN. RON WAR DA, UM UNTERLAGEN ZU BRINGEN. UNBEDINGT VOR IHREM TREFFEN MIT FLORIDA SMITH UM 7 UHR LESEN. DIESER JUNGE HAT VIELLEICHT EIN LÄCHELN! ANRUFE VON LT. HUNTER. BITTE UM RÜCKRUF. DENT WILL SIE SPRECHEN. HAT VON RON ERFAHREN, DASS SIE HEUTE HIER SEIN WÜRDEN. HAB GESAGT, ER SOLL VORBEIKOMMEN. BIS MORGEN, HOFFE ICH. – EB.
    Das Protokoll der Vorverhandlung lag zuoberst auf dem Aktenstapel. Als Bree danach griff, stellte sie überrascht fest, dass sie ziemlich nervös war. Sie dachte gern an Franklin zurück, den sie als großen, ziemlich zurückhaltenden Mann mit weißer Haarmähne und tiefer, volltönender Stimme in Erinnerung hatte. Gleich würde sie ihn wieder vor sich sehen – wenn sie las, was er damals gesagt hatte.
    Zuerst warf sie einen Blick auf die Liste der Zeugen. Der Hausarzt war ein Dr. John Warren gewesen. Bree runzelte die Stirn. Ein Allgemeinmediziner, der keinerlei Qualifikationen als Psychiater hatte. Den vorsitzenden Richter – Bulwar Kinney – kannte sie nur vom Hörensagen, denn er war lange vor ihrer Geburt gestorben. Welchen Ruf er genossen hatte, wusste sie nicht genau, aber zweifellos hatte er – wie die ganze Familie Kinney – zur alten Garde der Stadt gehört.
    Eddie O’Malley war ebenfalls als Zeuge aufgeführt. Er hatte zu denen gehört, die Alexander daran gehindert hatten, seine schreckliche Fahrt mit dem brennenden Karren fortzusetzen.
    Die Aussagen über Alexanders Verhalten nach Haydees Tod wiesen keinerlei Widersprüchlichkeiten auf. Consuelo, Alexander senior, Dr. Warren – sie alle gaben zu Protokoll, dass er vor Kummer außer sich gewesen sei, wobei ihren Aussagen jedoch jene Gleichförmigkeit fehlte, die vorher abgesprochene Lügen oft prägte. Alex habe ständig geweint, sich Gesicht und Brust mit einem Messer zerschnitten und an Schlafstörungen gelitten, um dann schließlich in eine Art Lethargie zu fallen, jegliche Nahrungsaufnahme zu verweigern und nicht mehr auf seine Umwelt zu reagieren. Schon die Lektüre reichte aus, um Bree Tränen in die Augen zu treiben. Die Szene im Gerichtssaal musste entsetzlich gewesen sein.
    Schließlich kam sie zu Alex’ eigener Aussage:
     
    RICHTER KINNEY: Sie sagen, Miss Quinn habe Sie gebeten, sie zu reinigen, Mr. Bulloch. Wie hat sie das denn angestellt?
    ANGEKLAGTER BULLOCH: Sie hat mich aufgesucht.
    RICHTER KINNEY: Sie hat Sie aufgesucht? Wo hat sie Sie denn aufgesucht?
    ANGEKLAGTER BULLOCH: In meinem Zimmer. Sie war in meinem Zimmer. Nachts. Mit offenem Haar. Und hat mit mir gesprochen.
    RICHTER KINNEY: Das war in der Nacht vom 3. Juli?
    ANGEKLAGTER BULLOCH: weint und gibt keine Antwort .
    RICHTER KINNEY: Sie ist in der Nacht vom 3. Juli zu Ihnen gekommen?
    ANGEKLAGTER BULLOCH: In mein Bett! In mein Bett!
     
    Bree legte das Protokoll, das keine wirklichen Aufschlüsse enthielt, zur Seite. Tyra Steeles Verhalten sprach durchweg gegen die Vorstellung, Haydees Geist sei zurückgekehrt, um Gerechtigkeit zu fordern. Die junge Schauspielerin mochte sich erfolgreich eingeredet haben, dass sie besessen war, doch Bree war sich ziemlich sicher, dass dieses Thema vom Tisch sein würde, sobald die Facebook-Fans das Interesse verloren hatten. Was hingegen eine geisterhafte Erscheinung in Alex Bullochs Schlafzimmer vor all den Jahren betraf …
    Schon möglich.
    Sie nahm sich den dicken Packpapierumschlag vor, der die Downloads aus dem Internet enthielt. Es waren drei verschiedene Packen mit der Aufschrift Mord , Vorher und Nachher . Zuerst sah sie sich die Mordakte an. Der wichtigste Zeitungsartikel stammte aus den Savannah Daily News vom 3. Juli 1952:
    GRÄSSLICHER FUND IM FLUSS!
    Haydee Quinn mit Stichwunden aufgefunden.
    Schöne Tänzerin

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