Gerechte Engel
erliegt ihren Verletzungen!
Die dem Artikel beigegebenen Fotos waren typisch für die damalige Zeit. Da gab es zum Beispiel eine verschwommene Schwarzweißaufnahme vom Flussufer, auf der der Kai sowie die Umrisse des gegenüberliegenden Ufers zu sehen waren. Ein weißer Pfeil zeigte auf einen Abschnitt des Wassers, der sich direkt hinter dem heutigen Touristencenter befand.
Am interessantesten fand Bree das Foto von Haydee. Es handelte sich um eine Porträtaufnahme in Schwarzweiß, die offenbar für Publicityzwecke in einem Atelier angefertigt worden war. Haydee blickte über die linke Schulter in die Kamera. Ihr dunkles Haar war hochgesteckt. Sie trug eine mit Juwelen besetzte Kappe, an der Federn befestigt waren, die sich bis zur Spitze des Kinns an ihre Wange schmiegten. Ihre Augen waren hell – irgendjemand, möglicherweise Justine, hatte gesagt, sie seien blau gewesen. Bree war sich ziemlich sicher, dass die Wimpern angeklebt waren, weil sie viel zu dicht und üppig wirkten. Haydees Lippen machten einen besonders markanten Eindruck; sie hatte ein irgendwie dreieckiges, verführerisches Lächeln, das Bree an die Schauspielerin Vivien Leigh in dem alten Film Vom Winde verweht erinnerte.
Unter dem Porträt befand sich ein Foto von Haydee in Arbeitskleidung . Sie trug einen mit Pailletten besetzten Bodysuit aus netzartigem Material. Nach Brees Dafürhalten sah sie ein wenig pummelig und ganz entschieden unsportlich aus. Doch vermutlich hatte in der Zeit des Kalten Krieges ein anderes Schönheitsideal gegolten als heutzutage. Und Haydees Gesicht war wirklich hinreißend, ganz gleich, welchen Maßstab man anlegte.
Der Artikel schilderte, was geschehen war. Am frühen Morgen hatte ein Angler vom Ufer aus seine Angel ausgeworfen. Der Haken verfing sich in Haydees Haar. Als der Angler entsetzt feststellte, was da am Haken hing, rannte er los und holte den Streifenpolizisten Herbert Wilson. Die blutende und bewusstlose Haydee wurde aus dem Fluss gezogen und mit einem Krankenwagen ins Savannah General Hospital gebracht. Trotz aller Bemühungen, ihr Leben zu retten, starb sie fünf Stunden später an den zahlreichen Stichwunden in ihrer Brust.
Die anderen Artikel befassten sich mit den polizeilichen Ermittlungen. Haydee war die Hauptattraktion eines Nachtclubs namens Tropicana Tide im Hafenviertel von Savannah gewesen. Die Handelsschifffahrt befand sich damals schon im Niedergang, doch dieses Viertel beherbergte nach wie vor – wie der Reporter es formulierte – die raueren Elemente unserer schönen Stadt . (Bree fiel auf, wie zurückhaltend man sich damals geäußert hatte, wenn es um Sex und Drogen ging.) Ihr Manager war William Norris, genannt Bagger Bill, ein notorischer, schon dreimal wegen illegalen Glücksspiels verurteilter Gangster . Zusätzlich wurde darauf hingewiesen, dass er seinen Spitznamen erhalten hatte, nachdem er einige Gentlemen aus dem Norden geprellt hatte. Lt. Edward O’Malley und Sgt. Robert E. Lee Kowalski, erstklassige Kräfte des Morddezernats unserer schönen Stadt , verdächtigten Bagger Bill fast unmittelbar nach der Tat, das Verbrechen begangen zu haben.
In der Zeitung war ein Schwarzweißfoto von Dent abgebildet sowie eines, das einen Mann mit kantigem Kinn und nach hinten geklatschtem, schwarzem Haar zeigte. Bree sah sich das Bild von Dent ganz genau an. Es war ein offizielles Polizeifoto, das – wie auch schon das Porträt Haydees – in einem Atelier aufgenommen worden war. Zu sehen war ein jüngerer Dent mit wesentlich mehr Haaren, den Blick starr in die Kamera gerichtet. Auf dieses Foto musste auch Florida Smith gestoßen sein. Doch die meisten damaligen Objektive ließen Gesichter flacher und voller erscheinen. Es hätte eines hochqualifizierten Profis und zahlreicher Kniffe bedurft, um ein wirklich authentisches Porträt zu bekommen. Und als Dent Jahre später bei dem Autounfall ums Leben kam, hatte der Alkohol sein Gesicht bereits verwüstet.
Zwei Tage nach Haydees Tod im Krankenhaus beschuldigten O’Malley und Kowalski Bagger Bill, Haydee Quinn ermordet zu haben. In der Presseerklärung der Polizei hieß es, man habe Norris stockbetrunken, mit Blut an den Händen und einem Messer neben sich aufgefunden. Dem Barkeeper des Nachtclubs zufolge hatten der Beschuldigte und Haydee in der Nacht vor der Auffindung des Opfers einen Streit gehabt, bei dem die Fetzen geflogen sind .
Nach zahlreichen ausgedehnten Verhören gestand Norris dann schließlich. Ein paar Wochen später
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