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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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stellt die Authentizität wichtige Forderungen an uns. Sie verlangt ein persönliches Gefühl für den eigenen Charakter und eine Festlegung auf Standards und Ideale, an denen wir uns orientieren. Außerdem folgt aus ihr, daß wir manche Handlungen als Selbstbetrug betrachten.
    Verantwortung
    Im sechsten Kapitel habe ich eine Unterscheidung zwischen der Verantwortung als Tugend und der Verantwortung als Beziehung getroffen und dann innerhalb dieser beiden Kategorien noch einmal eine weitere Zweiteilung vorgenommen. Das zweite Prinzip der Würde verlangt von uns, im Sinne der Tugend verantwortungsbewußt zu sein und situationsbezogen un
358 sere relationale Verantwortung anzuerkennen. Ich betrachte eine Handlung nur dann als die meine und als Ausdruck meiner Persönlichkeit und meines Charakters, wenn ich mich als reflexiv verantwortlich für sie betrachte. Wenn man seine Eltern, andere Menschen oder die Gesellschaft selbst für die eigenen Fehler verantwortlich macht oder sich auf eine Form des genetischen Determinismus beruft, um sich von jeder Verantwortung für das eigenes Handeln freizusprechen, dann ist das mit der eigenen Würde nicht vereinbar, weil diese voraussetzt, daß wir zu dem stehen, was wir getan haben. Daß »der schwarze Peter nicht weitergereicht werden kann«, ist eine wichtige ethische Einsicht.
    Inwiefern zur Authentizität gehört, daß ich für meine Handlungen auch eine Haftungsverantwortung übernehme, ist eine schwierigere Frage. Wann kann ich zu Recht verlangen, daß andere sich an einer finanziellen Belastung, die ich mir selbst aufgebürdet habe oder die mir aufgebürdet worden ist, beteiligen oder sie sogar ganz übernehmen? Es könnte zum Beispiel sein, daß ich Geld brauche, weil ich einen Unfall hatte, der es mir unmöglich macht zu arbeiten oder eine kostspielige medizinische Behandlung nach sich zieht. Ich könnte mich aber auch einfach entschieden haben, am Strand rumzulungern statt zu arbeiten, oder geschworen haben, meinem Gott einen Tempel zu errichten.
21 Folgt aus dem richtigen Verständnis meiner ethischen Verantwortung, daß es in manchen dieser Fälle falsch wäre, andere um Hilfe zu bitten, in anderen aber nicht? Wenn zu einer gelungenen Lebensführung gehört, nicht nur Entscheidungen zu treffen, sondern auch mit den Folgen dieser Entscheidungen zu leben, habe ich dann einen Grund, zwischen Bedürfnissen, die zum Beispiel auf eine Krebserkrankung zurückgehen, und solchen, die damit zu tun haben, daß ich nicht arbeiten will, zu unterscheiden? Spielt es eine Rolle, ob es sich um Grundbedürfnisse handelt oder um sogenannte spirituelle Bedürfnisse – ob ich also ohne Hilfe verhungern würde? Ist es wichtig, daß ich ohne weiteres für mich selbst sorgen könnte,
359 wenn ich mich entschließen würde, einen langweiligen Job anzunehmen, den ich nicht ausstehen kann? Diese Fragen haben, wie wir sehen werden, ihre genaue Entsprechung in moralischen Fragen bezüglich dessen, was wir anderen schulden, und in wichtigen politischen Fragen der Verteilungsgerechtigkeit. Es handelt sich jedoch auch um spezifisch ethische Fragen.
    Ethische Unabhängigkeit
    Authentizität hat noch eine weitere Dimension. In ihr kommt zum Ausdruck, welche Art von Beziehung zu anderen Menschen anzustreben mit der Idee Würde vereinbar ist. Wir müssen uns um Eigenständigkeit bemühen, aber das bedeutet nicht, daß wir versuchen müssen, stets zu vermeiden, von anderen beeinflußt oder überzeugt zu werden. Niemand kann eine vollkommen neue Lebensweise erfinden, und wir alle gehören zu bestimmten Kulturen, die uns eine Palette ethischer Werte zur Verfügung stellen, aus denen wir, in dem wir sie in uns wiedererkennen, eine Auswahl treffen können. Wir können diese Werte neu hierarchisieren und zum Beispiel zu Menschen werden, für die die reine Wahrheit Vorrang vor dem Taktgefühl hat – oder uns an Werte klammern, die andere nicht für wichtig halten, wie etwa den Wert sexueller Abstinenz. Heutzutage mitten in Brooklyn ein Leben mittelalterlicher Ritterlichkeit zu führen, ist jedoch unmöglich: Ein solches Leben setzt einen sozialen und auch politischen Rahmen voraus, von dem nicht genug übriggeblieben ist. Meinungen und Vorbilder, wie ein Leben zu führen sei, kommen in Folklore, Literatur und Werbung zu lebendigem Ausdruck und sind in unserem Leben allgegenwärtig – wir werden in eine durch sie geprägte Umwelt geboren und erziehen in ihr auch unsere Kinder. Im Laufe meines eigenen

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