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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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Theorie der Gerechtigkeit als Beispiel eines »kantischen« Konstruktivismus bezeichnet hat, hat dieser Position in den letzten Jahrzehnten zu zunehmender Beliebtheit verholfen. Diesem Ansatz zufolge werden moralische Urteile nicht entdeckt, sondern konstruiert: Sie sind das Ergebnis eines gedanklichen Verfahrens, dessen Aufgabe die Lösung praktischer, nicht theoretischer Probleme ist. Rawls verweist hier als Beispiel auf Kants kategorischen Imperativ: Dieser besagt, daß wir zu unseren moralischen Urteilen kommen müssen, indem wir uns fragen, welche moralischen Prinzipien wir als Maximen wollen könnten, die nicht nur für uns, sondern für alle gelten.
    Inzwischen ist allerdings der Rawls'sche Urzustand das bekannteste Beispiel für dieses Verfahren in der Politischen und der Moralphilosophie. Rawls schlägt vor, die die Grundstruktur unserer politischen Gemeinschaft regulierenden Gerechtigkeitsprinzipien festzulegen, indem wir uns eine Versammlung zur Gründung einer solchen Gemeinschaft vorstellen, deren Teilnehmer sich zwar aller relevanten allgemeinen wirtschaftlichen, technologischen, psychologischen und sozialen Tatsachen be
115 wußt sind, aber nichts über ihr Alter, ihr Geschlecht, ihre Begabungen, ihre soziale und wirtschaftliche Stellung sowie ihre Interessen, Wünsche und ethischen Überzeugungen über das gelungene Leben wissen. Rawls zufolge würden diese Personen sich unter jenen merkwürdigen Umständen auf zwei Prinzipien der Gerechtigkeit einigen: Das erste Prinzip würde bestimmten Freiheitsrechten Priorität zusprechen und das zweite würde eine Wirtschaftsordnung verlangen, die den Schlechtestgestellten ein Leben ermöglicht, das so gut ist, wie es die Grundstruktur der Gesellschaft erlaubt. Daher haben wir Rawls zufolge alle hier und jetzt einen Grund, diese beiden Prinzipien als Maßstab der Gerechtigkeit auch für unsere eigene politische Gemeinschaft zu akzeptieren.
    Warum sollte das der Fall sein? Lassen Sie mich kurz zwei erstaunlich unterschiedliche Antworten auf diese Frage vorstellen. Erstens könnte man sagen, daß es sich beim Urzustand um eine Art Erklärungshilfe handelt, mit der wir die Implikationen bestimmter moralischer und politischer Grundprinzipien, die wir für wahr halten, überprüfen können, weil die Struktur dieses Zustands jene grundlegenden Wahrheiten modelliert. An anderer Stelle habe ich diese Interpretation einmal vertreten und außerdem versucht zu zeigen, daß die Grundprinzipien, die auf diese Weise dargestellt werden, egalitär sind. Wenn wir der Überzeugung sind, daß alle der zwangsbewehrten Herrschaft einer politischen Gemeinschaft Unterworfenen gleichermaßen berücksichtigt und geachtet werden müssen, können wir konkreter ausbuchstabieren, welche Anforderungen sich hieraus ergeben, indem wir uns eine verfassunggebende Versammlung vorstellen, deren Mitglieder keinen Grund haben, einander anders zu behandeln.
23 Rawls selbst hat diesen Vorschlag entschieden abgelehnt: »Ich sehe Gerechtigkeit als Fairneß […] als Ausarbeitung bestimmter grundlegender intuitiver Gedanken zu idealisierten Konzeptionen. Dazu gehören der Gedanke freier und gleicher Personen, der einer wohlgeordneten Gesellschaft, der der öffentlichen Rolle einer politischen Gerechtigkeitskon
116 zeption und der noch grundsätzlichere und umfassendere intuitive Gedanke der Gesellschaft als eines fortdauernden, Generationen übergreifenden, fairen Systems der Kooperation, durch den die anderen Gedanken verbunden werden.«
24 Daß Rawls in dieser Passage dreimal explizit auf Intuitionen verweist, könnte bedeuten, daß er zwar mit den von mir vorgeschlagenen Grundprinzipien der Gerechtigkeit nicht einig war, aber ebenfalls davon ausging, daß der Urzustand bestimmte moralische Wahrheiten voraussetzt, wenn auch vielleicht eine etwas andere und komplexere Kombination als die von mir vorgeschlagene. An anderer Stelle hebt er ein Element jener Kombination besonders hervor: »Anders gesagt: oberste Gerechtigkeitsgrundsätze müssen aus einer Konzeption der Person vermittels einer geeigneten Repräsentation, wie sie in Gerechtigkeit als Fairneß durch das Konstruktionsverfahren veranschaulicht wird, hervorgehen.«
25 Man könnte hier argumentieren, daß eine bestimmte Konzeption der Person diese Rolle übernehmen wird, weil sie richtig ist.
    Diese Überlegungen sind aber auch mit einem sehr anderen Verständnis des Urzustands vereinbar, das Rawls an anderen Stellen zu vertreten scheint; und

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