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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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ein rein soziologisches Vorgehen. Selbst in den tatsächlich geteilten oder reflektierten Überzeugungen aller US -Amerikaner würde sich kein Konsens der benötigten Art finden lassen. Ein solches Unterfangen müßte bereits an der Frage der Religion scheitern, denn sehr viele US -Amerikaner glauben, daß es wichtiger ist, einen Staat zu haben, der ihren persönlichen religiösen Überzeugungen entspricht, als einen, der von Angehörigen anderer Religionen oder von Atheisten ohne große Schwierigkeiten akzeptiert werden kann. Wenn wir versuchen, umgekehrt vorzugehen, wird noch deutlicher, vor welcher großen Aufgabe wir hier stehen. Welche Konzeption freier und gleicher Personen
119 könnte zugleich eines der beiden Gerechtigkeitsprinzipien begründen und auf einer Versammlung der politisch konservativen Tea Party Zustimmung finden?
    Rawls hat hier also offensichtlich keine soziologische, sondern eine interpretative Suche nach einem übergreifenden Konsens im Blick. Er hoffte, Konzeptionen und Ideale identifizieren zu können, auf deren Grundlage liberale Rechts- und Politiktraditionen möglichst gut zu erläutern und zu rechtfertigen sind. Meines Erachtens ist das ein wichtiges und zudem durchführbares Unterfangen.
28 Es kann aber nicht moralisch neutral sein, weil der Versuch, eine politische Tradition zu verstehen, immer eine Entscheidung zwischen sehr unterschiedlichen Auffassungen davon erfordert, was in dieser Tradition letztendlich zum Ausdruck kommt – zum Beispiel, welche Eigenschaften und Tugenden »freie und gleiche« Bürger haben müssen –, die alle mit den historischen Fakten und der politischen Praxis vereinbar wären. Mit anderen Worten, man muß behaupten, eine jener Auffassungen sei den anderen vorzuziehen und könne daher die Tradition besser rechtfertigen.
29 Wenn man die gegenwärtigen Richter des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten nach den Prinzipien fragen würde, die in der US -amerikanischen Verfassungstradition zum Tragen kommen, würde man neun unterschiedliche Antworten erhalten. Es geht mir hier nicht darum, daß jede Interpretation unvermeidlich eine idealisierte Darstellung ist; das ist natürlich der Fall. Der Punkt ist, daß wir keine Ahnung haben, für welche der möglichen Idealisierungen wir uns entscheiden sollten, wenn wir nicht über eine moralische Hintergrundtheorie verfügen, die wir für wahr halten. Tatsächlich ist es durchaus möglich, eine bestimmte Art von Skeptizismus mit Hilfe einer konstruktivistischen Strategie zu verteidigen. Wenn man etwa der Ansicht ist, daß Gerechtigkeitstheorien auf einer plausiblen Interpretation der Traditionen jener Gemeinschaft beruhen müssen, für die sie gelten sollen, schließt man damit den universellen Gültigkeitsanspruch transzendentaler Theorien wie etwa des Utilitarismus aus. Weil
120 diese These aber selbst auf einer kontroversen Moraltheorie beruht, handelt es sich hierbei nicht um einen externen, sondern um einen internen Skeptizismus. Zumindest in der manchmal von ihm vorgestellten Form ist Rawls' konstruktivistisches Projekt daher unmöglich.
    Ja, die Metaethik beruht auf einem Irrtum
    Im zweiten Kapitel habe ich die moralphilosophische Unterscheidung zwischen alltäglichen ethischen oder moralischen Fragen, die substantielle Fragen erster Ordnung genannt werden, und sogenannten »metaethischen« Fragen zweiter Ordnung erläutert. Der moralische Realismus und der externe Skeptizismus müssen dieser Sichtweise zufolge der zweiten Kategorie zugerechnet werden. Wenn ich jedoch recht habe, dann ist diese Unterscheidung nicht zu halten, zumindest wenn wir die Metaethik im üblichen Sinne verstehen. Natürlich gibt es in der Anthropologie oder der Individual- und Sozialpsychologie interessante Probleme, die man als moralische Fragen zweiter Ordnung bezeichnen könnte, da sie sich auf moralische Urteile beziehen, ohne aber eine moralische Stellungnahme zu erfordern. Es gibt aber keine spezifisch philosophischen Probleme dieser Art, und insbesondere die Frage, ob moralische Urteile wahrheitsfähig sind, ist keine metaethische Frage, sondern verlangt ein substantielles moralisches Urteil. Die Metaethik existiert nicht als distinkter Bereich, außer wir verstehen die Frage, ob es sie geben kann (wie in meiner Analogie mit der Astrologie), als metaethische Frage.
    In der philosophischen Diskussion wird manchmal eine metaethische Position ausgemacht, die als »Quietismus« bezeichnet wird und die besagt, daß »es in

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