Gerechtigkeit fuer Igel
Argumente sind nun stichhaltiger, zumindest können Sie sich dieses Gedankens nicht erwehren.
Haben Sie irgendeinen Grund, sich für verantwortungslos zu halten, wenn Sie aufgrund Ihrer neuen Überzeugungen handeln? Nehmen wir an, daß zufällig in der nahen Zukunft tatsächlich ein Referendum über ein Verbot von Quotenregelungen geplant ist, an dem Sie teilnehmen können. Sollten Sie sich enthalten? Nicht zu wählen würde eine Stimme weniger gegen ein Verfahren bedeuten, das Sie für eine erhebliche Ungerechtigkeit oder zumindest für eine Dummheit halten, und diese Stimme könnte durchaus entscheidend sein. Nichts von dem, was Sie erfahren haben, rechtfertigt es, sich zu enthalten; Zurückhaltung wäre in diesem Fall unverantwortlich. Obwohl Ihnen Ihre Ansichten über Quotenregelungen richtig erscheinen, betrachten Sie sie vielleicht mit einem gewissen Mißtrauen und halten es deshalb nicht für angebracht, sich an der Wahl zu beteiligen. Um diese Haltung zu verteidigen, benötigen Sie aber eine Theorie darüber, wie man Überzeugungen ausbilden sollte, und Ihr Mißtrauen wird durch keine plausible Theorie gerechtfertigt. Sie haben sich die Argumente beider Seiten angehört, sich überlegt, wann ganz grundsätzlich ethnische Zugehörigkeit als Kriterium relevant sein darf und wann nicht, und Ihre entsprechenden Prinzipien mit Bezug auf andere Meinungen und sorgfältig konstruierte Gedankenexperimente überprüft. Wahrscheinlich haben nur wenige Ihrer Mitbürger so gründlich über diese Frage nachgedacht. Mit welcher Begründung halten Sie Ihre eigenen Ansichten für weniger vertrauenswürdig als die anderer Menschen? Die Meinungen Ihrer Mitmenschen reflektieren ebensosehr wie die Ihren eine persönliche Lebensgeschichte und können nicht mit größerer Berechtigung als Ergebnis eines validierenden kausalen Prozesses gesehen werden. Der Unterschied besteht darin, daß Ihre spezifische
140 Geschichte Ihnen einfach bizarrer zu sein scheint, und das kann unmöglich ein relevanter Unterschied sein.
Selbst in diesem offensichtlich konstruierten Fall, in dem Ihre Ansichten auf groteske Weise zufällig sind, erscheint das als vollkommen unproblematisch, weshalb wir uns nicht dagegen sperren sollten, daß Meinungen von uns allen in einem bestimmten Sinn zufällig sind: Wenn unsere Lebensgeschichten auf signifikante Weise anders verlaufen wären, dann hätten wir andere Überzeugungen. Das Zusammenzucken, das dieses Eingeständnis auslöst, wird vergehen, wenn wir uns die zentrale Einsicht des ersten Teils dieses Buches wirklich zu Herzen nehmen: die Unabhängigkeit der Moral. Die Moral muß an ihren eigenen Maßstäben gemessen werden. Moralische Prinzipien können ausschließlich auf der Basis anderer moralischer Prinzipien gerechtfertigt oder abgelehnt werden. Mir ging es darum, die fundamentale Unterscheidung zwischen der Erklärung und der Rechtfertigung einer moralischen Überzeugung herauszuarbeiten. Eine Erklärung ist eine Frage der Tatsachen, eine Rechtfertigung eine Frage der Moral. Die Frage der moralischen Verantwortung ist selbst wiederum eine moralische Frage: Wir benötigen eine Theorie darüber, welche Fragen wir uns stellen müssen, bevor wir berechtigt sind, eine moralische Ansicht zu vertreten oder diese zur Basis unseres Handelns zu machen. Das ist das Thema des sechsten Kapitels. Keine Theorie moralischer Verantwortung kann einen Menschen als verantwortungslos anprangern, weil bestimmte peinliche Einzelheiten seiner Biographie am besten erklären, warum er von bestimmten moralischen Argumenten überzeugt ist, solange diese Argumente tatsächlich vernünftig und gründlich reflektiert sind.
Bei der KA -Hypothese handelt es sich um eine Theorie der moralischen Verantwortung und darum müssen wir sie als moralische Aussage beurteilen: als Beitrag zur Moralepistemologie. Nur wenn wir sie auf überzeugende Weise rechtfertigen können, dürfen wir sie vertreten, und das können wir nicht. Wie wir noch sehen werden, ist die Frage, ob und wie ein Mensch
141 seine moralischen Meinungen überprüft hat, tatsächlich relevant dafür, ob es mit seiner Verantwortung vereinbar ist, daß er sie beibehält, zur Sprache bringt und in Handeln umsetzt. Die beste kausale Erklärung dafür, wie er zu seinen ursprünglichen Ansichten oder zu einer bestimmten Methode ihrer Überprüfung kam, ist hingegen irrelevant.
Überzeugung und Zufall
Finden Sie den Gedanken besorgniserregend, daß wir unsere innersten
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