Gerechtigkeit: Wie wir das Richtige tun (German Edition)
Arme gleichermaßen ihre Kinder schicken möchten, öffentliche Transportsysteme, die so zuverlässig sind, dass sie Pendler mit gehobenem Einkommen anziehen, und öffentliche Krankenhäuser, Spielplätze, Parks, Freizeiteinrichtungen, Büchereien und Museen, die zumindest im Idealfall Menschen aus ihren bewachten Wohnanlagen in die öffentlichen Räume einer gemeinsamen demokratischen Bürgerschaft locken.
Stellt man die negativen Folgen der Ungleichheit für die Zivilgesellschaft heraus und zeigt Möglichkeiten auf, diesen Trend umzukehren, könnte sich daraus eine politische Zugkraft ergeben, die eine Auseinandersetzung über die Einkommensverteilung als solche niemals entwickeln könnte. Es würde auch dazu beitragen, die Verbindung zwischen Verteilungsgerechtigkeit und dem Gemeinwohl deutlicher in den Köpfen der Menschen zu verankern.
4. Eine Politik des moralischen
Engagements
Manche halten eine öffentliche Beschäftigung mit Fragen des guten Lebens für einen Übergriff, für eine Reise über die Grenzen liberaler öffentlicher Vernunft hinaus. Oft glauben wir, Politik und Recht sollten nicht in moralische und religiöse Auseinandersetzungen verwickelt werden, weil damit der Weg zu Zwang und Intoleranz geöffnet werde. Diese Sorge ist berechtigt. Bürger pluralistischer Gesellschaften sind in Sachen Moral und Religion uneins. Selbst wenn es dem Staat, wie ich vorgebracht habe, nicht möglich ist, in Hinblick auf diese Meinungsverschiedenheiten neutral zu sein: Ist es nicht trotzdem möglich, unsere Politik auf der Grundlage gegenseitigen Respekts zu betreiben?
Ich meine ja. Doch dazu brauchen wir ein robusteres und engagierteres staatsbürgerliches Leben als jenes, woran wir uns gewöhnt haben. In den letzten Jahrzehnten hat sich bei uns die Annahme verbreitet, Achtung für die moralischen und religiösen Überzeugungen unserer Mitbürger laufe darauf hinaus, dass wir sie – zumindest in politischen Zusammenhängen – ignorieren und in unserem öffentlichen Leben außen vor lassen. Diese Vermeidungshaltung kann aber zu einem Pseudorespekt führen. Häufig bedeutet dies, dass moralische Uneinigkeit eher unterdrückt als tatsächlich vermieden wird – was zu Gegenreaktionen und Ressentiments führen kann. Außerdem zieht es einen verkümmerten öffentlichen Diskurs nach sich, der von einem Nachrichtenzyklus zum nächsten taumelt und sich vorwiegend mit Skandalen, Sensationen und Trivialitäten befasst.
Eine robustere Diskussionskultur könnte statt einer schwächeren eine stabilere Basis für gegenseitigen Respekt hervorbringen. Anstatt den moralischen und religiösen Überzeugungen aus dem Weg zu gehen, die von unseren Mitbürgern ins öffentliche Leben eingebracht werden, sollten wir uns eher direkt mit ihnen beschäftigen – sie also manchmal in Frage stellen oder bestreiten und gelegentlich auch von ihnen lernen. Es gibt keine Garantie, dass öffentliches Nachdenken über schwierige moralische Fragen in jedem Fall zu einer Übereinstimmung führt oder auch nur zu einer Wertschätzung für die moralischen und religiösen Ansichten anderer. Es kann immer sein, dass, je mehr wir über eine moralische oder religiöse Doktrin erfahren, wir sie desto weniger schätzen. Doch das können wir nur wissen, nachdem wir uns mit ihr auseinandergesetzt haben.
Das Ideal einer Politik moralischen Engagements ist nicht nur anregender als eine Politik der Vermeidung. Sie ist auch eine verheißungsvollere Grundlage für eine gerechte Gesellschaft.
DANKSAGUNG
Dieses Buch ging aus einer Lehrveranstaltung hervor. Fast drei Jahrzehnte lang hatte ich das Privileg, Studenten in Harvard in Moralphilosophie zu unterrichten, und in vielen Jahren veranstaltete ich ein Seminar mit dem Titel »Gerechtigkeit«. Der Kurs konfrontiert Studenten mit einigen der großen philosophischen Schriften über Gerechtigkeit und greift zudem aktuelle rechtliche und politische Kontroversen auf, aus denen sich philosophische Fragen ergeben.
Politische Philosophie ist ein Gegenstand, der zum Austausch von Argumenten einlädt, und das Seminar über Gerechtigkeit macht unter anderem deshalb so viel Spaß, weil es die Studenten dazu bringt, sich zu streiten – mit den Philosophen, untereinander und mit mir. Also möchte ich vor allem meine Wertschätzung für die vielen Tausend Studenten ausdrücken, die sich mir über die Jahre hinweg auf dieser Reise angeschlossen haben. Ihr lebhaftes Engagement für Fragen der Gerechtigkeit spiegelt sich,
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