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Gerechtigkeit: Wie wir das Richtige tun (German Edition)

Gerechtigkeit: Wie wir das Richtige tun (German Edition)

Titel: Gerechtigkeit: Wie wir das Richtige tun (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael J. Sandel
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Werbung oder Börsen, ohne Atombombe. Für den Fall, dass uns dieser Ort in all seiner Perfektion zu unrealistisch vorkommt, teilt uns die Autorin noch etwas darüber mit: »In einem Untergeschoss unter einem der schönen öffentlichen Gebäude von Omelas oder vielleicht im Keller eines der geräumigen Privathäuser der Stadt gibt es einen Raum. Er hat nur eine verschlossene Tür und kein Fenster.« Darin sitzt ein Kind. Das Kind ist schwachsinnig, unterernährt und vernachlässigt. Es verbringt seine Tage in erbärmlichem Elend.
Sie wissen alle von seiner Existenz, alle Leute von Omelas (…). Sie wissen alle, dass es dort sein muss (…). Alle verstehen, dass ihr Glück, die Schönheit ihrer Stadt, die Zärtlichkeit ihrer gegenseitigen Beziehungen, die Gesundheit ihrer Kinder (…), der Überfluss ihrer Ernte und das freundliche Wetter ihres Himmels gänzlich von dem abscheulichen Elend des Kindes abhängen (…). Wenn man das Kind aus diesem hässlichen Loch ans Tageslicht bringen würde, wenn es gewaschen und gefüttert und gepflegt würde – so würde auf den Tag und die Stunde all der Wohlstand, die Schönheit und die Freude von Omelas verwelken und vergehen. So lauten die Bestimmungen. 8
    Sind diese Bedingungen moralisch annehmbar? Gemäß dem ersten Einwand gegen Benthams Utilitarismus – dass es nämlich unveräußerliche Menschenrechte gibt – sind sie das nicht – auch dann nicht, wenn sie zu einer Stadt des Glücks führen. Es wäre falsch, die Rechte eines unschuldigen Kindes zu verletzen, selbst um des Glücks der Mehrheit willen.

Einwand 2: Eine allgemeingültige
Währung für Werte
    Der Utilitarismus behauptet, eine Wissenschaft der Moral zu bieten, die darauf beruht, dass man Glück misst, summiert und berechnet. Er registriert die Wünsche und Vorlieben der Menschen, ohne sie zu beurteilen. Die Präferenzen aller zählen gleich viel. Dieses vorurteilslose Denken begründet einen großen Teil seiner Anziehungskraft. Und sein Versprechen, die moralische Entscheidung zur Wissenschaft zu machen, durchdringt viele zeitgenössische Argumentationen. Doch um Vorlieben summieren zu können, muss man sie auf ein und derselben Skala messen. Benthams Vorstellung vom Nutzen stellt eine solche gemeinsame Währung bereit.
    Aber ist es überhaupt möglich, alle moralischen Güter in einer einzigen Währung zu erfassen, ohne dass bei der Übertragung etwas verlorengeht? Der zweite Einwand gegen den Utilitarismus bezweifelt, dass dies möglich ist.In diesem Zusammenhang sollten wir uns ansehen, wie die utilitaristische Logik in der Kosten-Nutzen-Analyse angewandt wird – einer Form der Entscheidungsfindung, die Regierungen und Unternehmen häufig einsetzen. Eine Kosten-Nutzen-Analyse versucht, die Entscheidungsfindung bei komplexen gesellschaftlichen Fragen zu rationalisieren; dazu überträgt sie alle Aufwendungen und Vorteile in monetäre Begriffe und vergleicht sie dann miteinander.
    Der Nutzen von Lungenkrebs
    Das Tabakunternehmen Philip Morris macht gute Geschäfte in der Republik Tschechien, wo das Rauchen nach wie vor sehr beliebt und gesellschaftlich akzeptiert ist. Aus Sorge über die steigenden Kosten für die durch Rauchen bedingten medizinischen Behandlungen erwog die tschechische Regierung kürzlich, die Tabaksteuern zu erhöhen. In der Hoffnung, die Steuererhöhung abwenden zu können, gab Philip Morris eine Kosten-Nutzen-Analyse in Auftrag, die feststellen sollte, wie das Rauchen sich auf den Staatshaushalt Tschechiens auswirkt. Die Studie fand heraus, dass die Regierung durch das Rauchen letztlich mehr Geld einnimmt, als sie verliert. Der Grund: Obwohl Raucher dem Haushalt höhere medizinische Kosten aufbürden, solange sie leben, spart die Regierung gleichzeitig beträchtliche Summen bei der Gesundheitsversorgung, den Renten und der Altenpflege ein, weil Raucher früher sterben. Der Studie zufolge ergibt sich, sobald man die »positiven Effekte« des Rauchens – einschließlich der Einkünfte durch Tabaksteuern und Einsparungen durch das frühere Ableben von Rauchern – angemessen berücksichtigt, für den Finanzminister ein Nettogewinn von 147 Millionen Dollar. 9
    Aus dieser Kosten-Nutzen-Analyse erwuchs Philip Morris ein katastrophaler Imageschaden. »Bisher leugneten Tabakfirmen üblicherweise, dass Zigaretten Menschen töten«, schrieb ein Kommentator. »Nun geben sie damit an.« 10 Die Anti-Raucher-Lobby veröffentlichte Zeitungsanzeigen, auf denen der Fuß eines Leichnams in einer

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