Gerechtigkeit: Wie wir das Richtige tun (German Edition)
und Moral mit der Freiheit verknüpft. Seine Idee von Freiheit ist jedoch um einiges anspruchsvoller als die Freiheit der Wahl, die wir ausüben, wenn wir Güter auf dem Markt kaufen und verkaufen. Was wir gewöhnlich als Marktfreiheit oder Verbraucherentscheidung verstehen, ist in Kants Augen keine echte Freiheit, weil wir damit lediglich Bedürfnisse befriedigen, die wir selbst wiederum gar nicht frei gewählt haben.
Auf Kants höhere Vorstellung von Freiheit werden wir gleich zu sprechen kommen. Vorher aber wollen wir uns ansehen, warum er glaubt, dass die Utilitaristen einen Fehler machen, wenn sie Gerechtigkeit und Moral als eine Frage der Glücksmaximierung ansehen.
Die Schwierigkeiten mit der
Glücksmaximierung
Kant lehnt den Utilitarismus ab. Weil der Utilitarismus Rechte durch eine Kalkulation begründet, macht er sie nach seiner Ansicht angreifbar. Zudem gibt es ein Problem, das tiefer geht, denn für Kant führt der Versuch, moralische Prinzipien aus unseren zufälligen Begierden abzuleiten, in die Irre. Etwas wird nicht dadurch richtig, dass es vielen Menschen Lust bereitet. Die bloße Tatsache, dass die Mehrheit, wie groß sie auch sei, ein bestimmtes Gesetz bevorzugt, macht daraus kein gerechtes Gesetz.
Kant meint, Moral könne nicht bloß auf empirische Erwägungen gegründet werden, etwa auf die Interessen, Wünsche, Begierden und Vorlieben, die Menschen zu einer beliebigen Zeit haben. Diese Faktoren seien wandelbar und zufällig, weshalb sie kaum als Grundlage universeller Moralprinzipien – etwa der universellen Menschenrechte – dienen könnten. Eine Gründung moralischer Prinzipien auf Vorlieben und Begierden – selbst wenn es der Wunsch nach Glückseligkeit ist – verkenne, worum es bei der Moral überhaupt gehe. Das utilitaristische Prinzip der Glückseligkeit trage »gar nichts zur Gründung der Sittlichkeit bei, indem es ganz was anderes ist, einen glücklichen, als einen guten Menschen, und diesen klug und auf seinen Vorteil abgewitzt, als ihn tugendhaft zu machen«. 2 Eine Begründung der Sittlichkeit auf Interessen und Vorlieben zerstöre ihre Würde. Sie lehre uns nicht, wie wir Falsch von Richtig unterscheiden können, sondern »nur den Kalkül besser ziehen«. 3
Was bleibt übrig, wenn unsere Wünsche und Begierden nicht als Grundlage der Moral dienen können? Eine Möglichkeit ist Gott. Doch das ist nicht die Antwort Kants. Obwohl Christ, gründet Kant die Sittlichkeit nicht auf göttliche Autorität. Vielmehr sagt er, wir könnten das höchste Prinzip der Moral erkennen, indem wir uns von unserer »reinen praktischen Vernunft« leiten lassen. Um zu sehen, wie wir uns gemäß Kant den Weg zum moralischen Gesetz erarbeiten können, wollen wir nun die von Kant gemeinte enge Verbindung zwischen unserer Fähigkeit zur Vernunft und unserer Fähigkeit zur Freiheit erkunden.
Kant argumentiert, dass jede Person Respekt verdient – nicht weil wir uns selbst besitzen, sondern weil wir vernunftbegabte Wesen sind, die frei handeln und entscheiden können.
Kant meint nicht, dass es uns stets gelingt, vernünftig zu handeln oder selbstbestimmt zu entscheiden – manchmal ist es uns möglich, manchmal nicht. Er meint lediglich, dass wir die Fähigkeit zur Vernunft und zur Freiheit haben und dass diese Fähigkeit dem Menschen an sich zu eigen ist.
Bereitwillig räumt Kant ein, dass unsere Fähigkeit zur Vernunft nicht die einzige Fähigkeit sei, die wir besitzen – wir hätten auch die Fähigkeit, Lust und Unlust zu empfinden. Er sieht, dass wir sowohl fühlende als auch rationale Wesen sind. Unter »fühlend« versteht Kant, dass wir auf unsere Sinne, unsere Empfindungen reagieren. Demnach hatte Bentham recht, als er bemerkte, dass wir Lust mögen und Unlust ablehnen. Falsch war aber, darauf zu bestehen, dass sie »unsere höchsten Herren« seien. Kant meint, die Vernunft könne herrschen, zumindest zeitweilig. Wenn die Vernunft den Willen regiert, sind wir nicht von dem Begehren angetrieben, Lust zu suchen und Unlust zu meiden.
Unsere Fähigkeit zur Vernunft ist so gesehen an unsere Fähigkeit zur Freiheit gebunden. Diese beiden Fähigkeiten gemeinsam machen uns zum Menschen und trennen uns von einer rein animalischen Existenz. Sie machen aus uns mehr als Kreaturen des Verlangens.
Was ist Freiheit?
Damit Kants Moralphilosophie für uns einen Sinn ergibt, müssen wir verstehen, was er mit Freiheit meint. Oft stellen wir uns vor, Freiheit bestehe darin, dass wir ungehindert tun
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