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Gerechtigkeit: Wie wir das Richtige tun (German Edition)

Gerechtigkeit: Wie wir das Richtige tun (German Edition)

Titel: Gerechtigkeit: Wie wir das Richtige tun (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael J. Sandel
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ostpreußischen Königsberg geboren und starb dort fast 80 Jahre später. Er stammte aus einer Familie mit bescheidenen Mitteln. Sein Vater war Sattlermeister, und beide Elternteile waren Pietisten, Mitglieder einer protestantischen Glaubensrichtung, die vor allem Wert auf das religiöse Innenleben und das Verrichten guter Werke legte. 1
    Sein Studium an der Universität Königsberg, wo er sich mit 16 Jahren einschrieb, verlief erfolgreich. Für eine gewisse Zeit arbeitete er als Hauslehrer, bis er mit 31 Jahren seine erste akademische Anstellung als Privatdozent erhielt. Bezahlt wurde er nach der Zahl der Studenten, die seine Vorlesungen besuchten. Er war ein beliebter und fleißiger Dozent und hielt wöchentlich ungefähr 20 Vorlesungen über Themen wie Metaphysik, Logik, Ethik, Recht, Geographie und Anthropologie.
    1781 veröffentlichte er mit 57 Jahren sein erstes Hauptwerk, die Kritik der reinen Vernunft. Darin griff er die mit David Hume und John Locke verbundene empiristische Erkenntnistheorie an. Vier Jahre später veröffentlichte er die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten , das erste von mehreren Werken zur Moralphilosophie. Fünf Jahre nach Jeremy Benthams Principles of Morals and Legislation (1780) lieferte Kants Grundlegung eine vernichtende Kritik des Utilitarismus. Kant argumentierte, bei der Moral gehe es nicht um die Maximierung des Glücks oder irgendeinen anderen Zweck. Vielmehr gehe es um die Achtung der Menschen als Zweck an sich selbst.
    Kants Grundlegung erschien kurz nach der Amerikanischen Revolution (1776) und unmittelbar vor der Französischen Revolution (1789). In Übereinstimmung mit dem Geist und der moralischen Emphase dieser Revolutionen bietet sie eine stabile Grundlage für das, was die Revolutionäre des 18. Jahrhunderts als »Rights of Man« bezeichneten und was wir zu Beginn des 21. Jahrhunderts »universelle Menschenrechte« nennen.
    Kants Philosophie ist anstrengend. Doch davon sollten wir uns nicht abschrecken lassen. Sie ist der Mühe wert, weil es um sehr viel geht. Die Grundlegung greift eine große Frage auf: Was ist der höchste Grundsatz der Moral? Und im Zuge der Beantwortung dieser Frage nimmt sie sich eines weiteren überaus wichtigen Themas an: Was ist Freiheit?
    Seit mehr als zweihundert Jahren stellen Kants Antworten auf diese Fragen eine Herausforderung für die Moralphilosophie und die politische Philosophie dar. Doch sein historischer Einfluss ist nicht der einzige Grund, warum wir uns mit ihm beschäftigen sollten. Obwohl Kants Philosophie auf den ersten Blick einschüchternd erscheinen mag, liefert sie die Grundlagen für einen beträchtlichen Ausschnitt des zeitgenössischen Denkens über Moral und Politik, selbst wenn uns das oft nicht bewusst ist. Zu versuchen, Kant zu verstehen, ist also nicht nur eine Übung im Philosophieren, sondern verschafft uns auch die Möglichkeit, einige der entscheidenden, aber oft impliziten Annahmen zu entdecken, die unserem öffentlichen Leben zugrunde liegen.
    Kants Betonung der menschlichen Würde beeinflusst die heutigen Vorstellungen von den universellen Menschenrechten. Von größerer Bedeutung ist, dass seine Begründung der Freiheit in vielen unserer aktuellen Debatten über Gerechtigkeit auftaucht. In der Einführung zum vorliegenden Buch habe ich drei Annäherungen an die Gerechtigkeit unterschieden. Dem utilitaristischen Ansatz zufolge bestimmt man, welche Handlungen gerecht sind, indem man fragt, was das Wohlergehen oder die kollektive Glückseligkeit insgesamt maximiert. Ein weiterer Ansatz verknüpft Gerechtigkeit mit Freiheit. Ein Beispiel für diesen Ansatz sind die Libertarianer. Sie sagen, Einkommen und Reichtum seien immer dann gerecht verteilt, wenn sie aus dem freien Austausch von Gütern und Dienstleistungen hervorgingen. Es sei ungerecht, den Markt zu regulieren, weil damit die Wahlfreiheit des Einzelnen verletzt werde. Ein dritter Ansatz besagt, Gerechtigkeit bedeute, dass den Menschen gegeben werde, was ihnen moralisch zustehe; Güter werden demnach zugeteilt, um Tugend zu fördern und zu belohnen. Wenn wir uns Aristoteles zuwenden, werden wir sehen, dass der auf den Tugenden beruhende Ansatz die Gerechtigkeit mit Überlegungen zum guten Leben verbindet.
    Kant verwirft Ansatz eins (Maximierung des Wohlergehens) und Ansatz drei (Förderung der Tugend). Beide Konzepte achten seiner Meinung nach die Freiheit des Menschen nicht genug. Demnach ist Kant ein Verfechter des zweiten Ansatzes, der Gerechtigkeit

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