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Gerechtigkeit: Wie wir das Richtige tun (German Edition)

Gerechtigkeit: Wie wir das Richtige tun (German Edition)

Titel: Gerechtigkeit: Wie wir das Richtige tun (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael J. Sandel
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Er gehört zum Lager der Freiheitlichen, in dem man die libertarianische Definition der Gerechtigkeit ablehnt.
    Einwand 2: Abwertung und höhere Werte
    Was ist mit dem zweiten Einwand gegen Leihmutterverträge? Ihm zufolge gibt es manche Dinge, die nicht für Geld zu kaufen sein sollten, darunter auch Babys und die Reproduktionskapazitäten von Frauen. Was ist eigentlich falsch daran, dergleichen zu kaufen und zu verkaufen? Die überzeugendste Antwort lautet hier: Wenn man Babys und Schwangerschaften wie jede andere Ware behandelt, werden sie herabgewürdigt oder nicht angemessen bewertet.
    Dieser Antwort liegt eine Vorstellung mit großer Reichweite zugrunde: Demnach können wir nicht einfach beliebig festlegen, wie Güter und soziale Handlungsweisen zu bewerten sind. Für gewisse Güter und Handlungsweisen sind bestimmte Bewertungsarten angemessen. Handelswaren wie Autos und Toaster bewertet man in angemessener Weise, wenn man sie benutzt oder sie herstellt und mit Gewinn verkauft. Es wäre jedoch ein Fehler, alles so zu behandeln, als sei es eine Ware. Beispielsweise wäre es falsch, Menschen wie eine Ware zu behandeln – also als bloße Dinge, die zu kaufen und zu verkaufen sind. Schließlich sind Menschen Personen, die Achtung verdient haben, und nicht beliebig zu benutzende Gegenstände. Sie gehören einer anderen Ordnung an.
    Die zeitgenössische Moralphilosophin Elizabeth Anderson hat eine Version dieses Arguments auf die Leihmutter-Debatte angewandt. Sie findet, Leihmutterverträge würden Kinder und Geburtswehen abwerten, weil sie sie wie Handelswaren behandelten. 43 Mit Herabwürdigung meint sie, etwas werde mit einer geringeren Art der Wertschätzung behandelt, als angemessen sei. »Wir schätzen Dinge nicht einfach nur ›mehr‹ oder ›weniger‹, sondern auf qualitativ höhere oder niedrigere Art. Jemanden zu lieben oder zu achten heißt, sie oder ihn auf höhere Weise zu schätzen, als wenn man sie nur benutzen würde (…). Gewerbliche Leihmutterschaft würdigt Kinder insofern herab, als sie dadurch wie eine Ware behandelt werden.« 44 Kinder würden dann eher als Mittel zur Gewinnerzielung verwendet und nicht als Personen geschätzt, die unsere Liebe und Fürsorge verdienen.
    Gewerbliche Leihmutterschaft werte aber auch Frauen ab, meint Anderson – weil deren Körper als Fabriken behandelt würden und weil man sie dafür bezahle, keine Bindung zu dem Kind aufzubauen, das sie austragen. Das »ersetzt die Normen der Elternschaft, von denen die Praxis der Kinderzeugung gewöhnlich geleitet wird, durch die ökonomischen Normen, die die gewöhnliche Produktion beherrschen«. Dadurch, dass die Leihmutter aufgefordert ist, »jegliche Elternliebe zu unterdrücken, die sie für das Kind empfinden mag«, verwandeln Leihmutterverträge laut Anderson »die Schwangerschaft der Frau in eine Form entfremdeter Arbeit«. 45
Im Leihmuttervertrag willigt die Mutter ein, keine Mutter-Kind-Beziehung zu ihrem Nachwuchs auszubilden oder es auch nur zu versuchen. Ihre Schwangerschaft wird entfremdet, weil sie sie von dem Ziel ablösen muss, das die soziale Praxis der Schwangerschaft zu Recht fördert: eine emotionale Bindung zu ihrem Kind. 46
    Im Zentrum von Andersons Argumentation steht die Vorstellung, dass Güter und Werte sich ihrer Art nach unterscheiden; deshalb sei es falsch, alle Güter auf dieselbe Weise zu schätzen wie Mittel zur Gewinnerzielung oder Gebrauchsgegenstände. Falls diese Vorstellung zutrifft, gebe es Dinge, die für Geld nicht zu kaufen sein sollten.
    Das stellt auch für den Utilitarismus eine Herausforderung dar. Wenn Gerechtigkeit einfach darin besteht, dass man die Lust im Verhältnis zur Unlust maximiert, benötigen wir eine einzige, gleichbleibende Maßeinheit, mit deren Hilfe wir die Güter abwägen und schätzen können. Für genau diesen Zweck erfand Bentham das Konzept des Nutzens. Anderson dagegen meint, der Maßstab des Nutzens (oder des Geldes) führe zur Entwertung jener Güter und sozialen Handlungsweisen, die nur nach höheren Normen angemessen zu bewerten seien – beispielsweise Kinder, Schwangerschaft und Elternschaft.
    Aber was macht diese höheren Normen aus? Und wie können wir erkennen, welche Bewertungsarten für welche Güter und sozialen Handlungsweisen angemessen sind? Eine Annäherung an diese Frage beginnt mit der Idee der Freiheit. Da Menschen zur Freiheit fähig sind, sollten sie nicht benutzt werden, als seien sie lediglich Objekte. Stattdessen sollten sie mit

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