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Gerechtigkeit: Wie wir das Richtige tun (German Edition)

Gerechtigkeit: Wie wir das Richtige tun (German Edition)

Titel: Gerechtigkeit: Wie wir das Richtige tun (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael J. Sandel
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liebe Hummer einfach. Und deshalb bin ich lange wach und denke über Loks mit versagenden Bremsen nach.«
    Hier haben wir ein Beispiel für das, was Kant als Fremdbestimmung bezeichnen würde – man handelt um einer anderen Sache willen, um einer anderen Person willen und so weiter. Wenn wir fremdbestimmt handeln, handeln wir zugunsten von Zwecken, die uns äußerlich sind. Wir sind Mittel und nicht Urheber der Zwecke, die wir verfolgen.
    Kants Vorstellung von Selbstbestimmung bildet dazu einen starken Kontrast. Wenn wir autonom und in Einklang mit einem Gesetz handeln, das wir uns selbst geben, so tun wir etwas um seiner selbst willen, wegen eines Zwecks an sich. Wir sind nicht länger Mittel zu Zwecken, die uns äußerlich sind. Diese Fähigkeit, selbstbestimmt zu handeln, gibt dem menschlichen Leben seine besondere Würde. Sie bezeichnet den Unterschied zwischen Personen und Sachen.
    Die menschliche Würde zu achten heißt für Kant, Personen als Zweck an sich zu behandeln. Deshalb ist es falsch, Menschen um des Gemeinwohls willen zu instrumentalisieren, wie es der Utilitarismus tut. Stößt man den dicken Mann auf die Schienen, um die Lok zu stoppen, benutzt man ihn als Mittel und achtet ihn nicht als Person. Ein aufgeklärter Utilitarist (wie Mill) würde sich vielleicht weigern, den Mann hinabzustoßen, weil er besorgt ist, dass sekundäre Auswirkungen den Nutzen auf lange Sicht mindern könnten. (Die Menschen würden bald Angst davor haben, auf Brücken zu stehen usw.) Kant dagegen würde daran festhalten, dass dies der falsche Grund sei, jemanden nicht von der Brücke zu stoßen. Denn auch hier würde das mögliche Opfer als Werkzeug angesehen, als Objekt, als bloßes Mittel für das Glück anderer. Er würde nicht um seiner selbst willen am Leben gelassen, sondern dafür, dass andere Menschen ohne Furcht über Brücken gehen können.
    Das wirft die Frage auf, was einer Handlung moralischen Wert verleiht. Damit kommen wir von Immanuel Kants anspruchsvoller Vorstellung von Freiheit zu seiner gleichermaßen anspruchsvollen Vorstellung von Sittlichkeit.

Was ist Moral?
    Kant zufolge besteht der moralische Wert einer Handlung nicht in den Folgen, die sich aus ihr ergeben, sondern in der Absicht, in der die Handlung ausgeführt wird. Es kommt auf das Motiv an, und dieses Motiv muss von bestimmter Art sein. Das Richtige muss getan werden, weil es richtig ist, und aus keinem anderen Grund.
    »Der gute Wille ist nicht durch das, was er bewirkt, oder ausrichtet (…) gut«, schreibt Kant. Er ist an sich gut, ob er Erfolg hat oder nicht. »Wenn gleich (…) es diesem Willen gänzlich an Vermögen fehlete, seine Absicht durchzusetzen; wenn bei seiner größten Bestrebung dennoch nichts von ihm ausgerichtet würde (…), so würde er wie ein Juwel doch für sich selbst glänzen, als etwas, das seinen vollen Wert in sich selbst hat.« 4
    Damit ein Handeln moralisch gut ist, »ist es nicht genug, dass es dem sittlichen Gesetze gemäß sei, sondern es muss auch um desselben willen geschehen.« 5 Und das Motiv, das dem Handeln moralischen Wert verleiht, ist das Motiv der Pflicht, worunter Kant versteht, dass man das Richtige aus dem richtigen Grund tut. 6
    Wenn Kant äußert, nur das Motiv der Pflicht verleihe einer Handlung moralischen Wert, so sagt er noch nicht, welche speziellen Pflichten wir haben. Er gibt nicht vor, was das höchste Prinzip der Sittlichkeit befiehlt. Er merkt nur an, dass wir, wenn wir den sittlichen Wert einer Handlung einschätzen, die Absicht bewerten, mit der sie ausgeführt wird, und nicht die Folgen, die sich daraus ergeben.
    Wenn wir aus einem anderen Beweggrund als dem der Pflicht handeln, etwa aus Eigeninteresse, so fehlt unserem Handeln der sittliche Wert. Dasselbe gilt für unsere Wünsche, Begierden, Vorlieben und unser Verlangen. Kant konfrontiert Beweggründe dieser Art – Beweggründe der »Neigung« – mit dem Motiv der Pflicht. Und er hält daran fest, dass nur Handlungen, die der Pflicht wegen ausgeführt werden, sittlichen Wert besitzen.
    Der berechnende Krämer und
das Better Business Bureau
    Kant liefert mehrere Beispiele, die den Unterschied zwischen Pflicht und Neigung verdeutlichen. Das erste betrifft einen vorsichtigen Krämer. Ein unerfahrener Kunde, sagen wir ein Kind, betritt einen Kramladen, um einen Laib Brot zu kaufen. Der Krämer könnte dem Kind zu viel berechnen – mehr als den üblichen Preis für einen Laib Brot –, und das Kind würde es nicht bemerken. Wenn

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