Gerechtigkeit: Wie wir das Richtige tun (German Edition)
Nutznießer der positiven Diskriminierung sind Studenten aus der Mittelschicht, die nicht die Härten junger Afro- und Hispanoamerikaner aus den Innenstädten zu erdulden hatten. Warum sollte ein afroamerikanischer Student aus einem wohlhabenden Vorort Houstons einen Vorsprung vor Cheryl Hopwood erhalten, die vielleicht mit härteren ökonomischen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte?
Wenn es darum gehe, den Benachteiligten zu helfen, so die Kritiker, sollte die positive Diskriminierung auf die soziale Klasse und nicht auf die Rasse gegründet werden. Und wenn man denn schon eine rassisch begründete Bevorzugung als Ausgleich für die historische Ungerechtigkeit der Sklaverei und der Rassentrennung beabsichtige: Wie könne es fair sein, Menschen wie Hopwood dafür bezahlen zu lassen, die gar keine Ungerechtigkeit begangen haben?
Ob diesem Einwand erfolgreich zu begegnen ist, hängt mit der schwierigen Idee einer kollektiven Verantwortung zusammen: Können wir je moralisch dazu verpflichtet sein, die Fehler einer früheren Generation auszugleichen? Wollen wir diese Frage beantworten, müssen wir mehr darüber wissen, wie moralische Verpflichtungen zustande kommen. Gehen wir nur als Individuen Verpflichtungen ein, oder sind wir als Mitglieder von Gemeinschaften mit historischer Identität gefordert? Da wir weiter unten auf diese Frage zurückkommen werden, wollen wir sie für den Moment zurückstellen und uns dem Argument der Vielfalt zuwenden.
Affirmative Action und die
Rechte des Einzelnen
Der grundsätzliche Einwand behauptet, es sei unfair, Rasse oder Ethnie als Faktor bei der Zulassung heranzuziehen, selbst wenn das Ziel einer stärker differenzierten Studentenschaft oder einer ausgeglicheneren Gesellschaft wertvoll und eine Politik positiver Diskriminierung erfolgreich sein mag. Der Grund: Damit würden die Rechte von Bewerbern wie Cheryl Hopwood verletzt, die ohne eigenes Verschulden im Wettbewerb benachteiligt seien.
Für einen Utilitaristen hätte der Einwand kaum Gewicht. Das Plädoyer für positive Diskriminierung würde einfach davon abhängen, dass man die aus ihr hervorgehenden gesellschaftlichen Vorteile gegen die Enttäuschung abwägt, die bei Hopwood und anderen leer ausgehenden weißen Bewerbern ausgelöst wird. Doch viele Verfechter der positiven Diskriminierung sind keine Utilitaristen; es sind an Kant oder Rawls orientierte Liberale, die glauben, selbst wünschenswerte Zwecke dürften nicht über die Rechte des Einzelnen hinweggehen. Wenn das Zulassungskriterium der Rasse Hopwoods Rechte verletzt, ist dieses Vorgehen so gesehen ungerecht.
Ronald Dworkin, ein Rechtsphilosoph, begegnet diesem Einwand, indem er vorbringt, die Anwendung rassischer Kriterien bei der positiven Diskriminierung verstoße nicht gegen irgendwelche Rechte. 10 Welches Recht, fragt er, sei Hopwood verwehrt worden? Vielleicht glaubt sie, Menschen hätten ein Recht darauf, nicht nach Kriterien (etwa der Rasse) beurteilt zu werden, auf die sie keinen Einfluss hätten. Doch die meisten herkömmlichen Kriterien für die Zulassung zur Universität enthalten Faktoren, die niemand kontrollieren kann. Es ist nicht mein Fehler, dass ich aus Massachusetts und nicht aus Idaho komme, dass ich ein lausiger Football-Spieler bin oder keine Melodie halten kann. Ich kann auch nichts dafür, dass mir die Fähigkeit fehlt, beim Test gut abzuschneiden.
Vielleicht geht es ja um das Recht, allein nach akademischen Gesichtspunkten beurteilt zu werden und nicht danach, ob ich gut im Football bin, aus Idaho komme oder freiwillig in einer Suppenküche geholfen habe. Wenn meine Noten, Testergebnisse und andere akademische Kriterien mich in die oberste Gruppe der Bewerber bringen, verdiene ich dieser Ansicht nach, angenommen zu werden.
Aber wie Dworkin hervorhebt, gibt es kein solches Recht. Manche amerikanische Universitäten mögen ja Studenten allein aufgrund akademischer Eignung aufnehmen, doch bei den meisten ist das nicht der Fall. Universitäten definieren ihre Aufgaben auf unterschiedliche Art. Dworkin zufolge hat kein Bewerber ein Recht darauf, dass die Universität ihre Zulassungspraxis so gestaltet, dass irgendeine spezielle Art der Qualifikation – ob nun akademisches Können, athletische Fähigkeiten oder sonst etwas – über alles gestellt ist. Sobald die Universität ihre Aufgabe definiert und ihre Zulassungskriterien festlegt, kann jeder mit Recht eine Zulassung erwarten, der diesen Normen besser gerecht wird als andere Bewerber.
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