Gerechtigkeit: Wie wir das Richtige tun (German Edition)
zwar ein Recht auf die Leistungen, die die Spielregeln vorsehen, wenn wir unsere Talente ausüben. Es ist aber ein Fehler und eine Täuschung, anzunehmen, wir würden vor allem eine Gesellschaft verdienen, die genau jene Eigenschaften schätzt, die wir im Überfluss besitzen.
In seinem Film Stardust Memories trägt Woody Allen eine ähnliche Ansicht vor. Allen, der eine ihm ähnliche Figur – einen berühmten Komiker namens Sandy – spielt, trifft sich mit Jerry, einem frustrierten Freund aus seinem früheren Viertel, der sich ärgert, weil aus ihm nur ein Taxifahrer geworden ist:
Sandy: Was machst du jetzt so beruflich?
Jerry: Weißt du, was ich jetzt mache? Ich fahre Taxi.
Sandy: Das … das ist doch gar keine schlechte Sache. Du siehst gut aus.
Jerry: Aber was bin ich im Vergleich zu dir …
Sandy: Ich sag dir, im Grunde bin ich immer noch der Junge von nebenan, der Witze erzählt.
Jerry: Jaaah …
Sandy: Du musst immer daran denken, dass wir in einer Gesellschaft leben, die dem Witz einen außerordentlich hohen Stellenwert einräumt. Stell dir vor … stell dir vor, ich wäre als Indianer geboren – die Jungs brauchen nämlich gar keine Komiker –, dann wäre ich jetzt arbeitslos.
Jerry: Ach komm, Sandy, das ist aber auch ein ziemlich schwacher Trost für mich. 23
Der Taxifahrer lässt sich durch den Hinweis des Komikers über die moralische Zufälligkeit von Ruhm und Vermögen nicht umstimmen. Der Stachel seines kläglichen Schicksals sitzt zu tief – es hilft ihm nicht, es als Folge dummer Zufälle anzusehen.
In einer Meritokratie glauben die meisten Menschen unweigerlich, sie hätten ihren Erfolg – oder auch ihren Misserfolg – verdient; diese Vorstellung ist nur sehr schwer aus den Köpfen zu bekommen. Ob es überhaupt möglich ist, die Verteilungsgerechtigkeit von der Vorstellung des Verdienstes abzukoppeln, werden wir auf den folgenden Seiten ausloten.
Korrektur der Prüfungsverzerrungen
Rasse und Ethnie werden unter anderem deshalb in Betracht gezogen, weil mögliche Verzerrungen in genormten Tests korrigiert werden sollen. Die Aussagekraft solcher Tests ist lange umstritten gewesen. 1951 erzielte ein Bewerber für das Doktorandenprogramm der School of Religion an der Boston University beim Zulassungsexamen ein mittelmäßiges Ergebnis. Der junge Martin Luther King, der zu einem der größten Redner in der Geschichte Amerikas werden sollte, schnitt beim Test zur Bestimmung der »verbalen Befähigung« unterdurchschnittlich ab. 6 Zum Glück wurde er dennoch angenommen.
Einigen Studien zufolge schneiden schwarze oder hispanoamerikanische Studenten bei genormten Tests insgesamt schlechter ab als weiße Studenten der gleichen sozialen Schicht. Doch was immer der Grund für die Prüfungsverzerrung sein mag – verwendet man genormte Tests zur Vorhersage akademischer Erfolge, ist es erforderlich, die Resultate im Licht der familiären, sozialen und kulturellen Hintergründe sowie des Bildungshintergrunds der Studenten zu interpretieren. Bei einem Studenten, der eine öffentliche Schule in der South Bronx besucht hat, bedeutet ein hoher Punktwert mehr als die gleiche Punktzahl beim Absolventen einer Elite-Privatschule an der Upper East Side von Manhattan.
Doch wenn man die Testergebnisse im Licht des rassischen, ethnischen und wirtschaftlichen Hintergrunds von Studenten bewertet, ist das kein Angriff auf die Vorstellung, Colleges und Universitäten sollten die geeignetsten Studenten annehmen; es ist einfach ein Versuch, das genaueste Messverfahren für die akademischen Aussichten des Einzelnen zu finden.
Die eigentliche Debatte um positive Diskriminierung befasst sich mit zwei anderen Begründungen: dem Argument des Ausgleichs und dem Argument der Vielfalt.
Ausgleich für frühere
Benachteiligungen
Das Argument des Ausgleichs betrachtet positive Diskriminierung als Wiedergutmachung für frühere Benachteiligungen. Demnach sollte man Studenten aus Minderheiten bevorzugen, um eine vorangegangene negative Diskriminierung zu kompensieren. Diese Argumentation sieht die Zulassung in erster Linie als einen Bonus, der so zuzuteilen ist, dass vergangene Ungerechtigkeit und deren anhaltende Wirkungen ausgeglichen werden.
Das Argument des Ausgleichs ist jedoch sehr umstritten. Kritiker verweisen darauf, dass die Nutznießer nicht zwangsläufig diejenigen sind, die gelitten haben, und dass jene, die für die Kosten aufkommen müssen, selten für die zu korrigierenden Fehler verantwortlich sind. Viele
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