Gerechtigkeit: Wie wir das Richtige tun (German Edition)
Wer am Ende in der Spitzengruppe der Anwärter landet – unter Berücksichtigung akademischer Zukunft, ethnischer und geographischer Vielfalt, sportlicher Stärke, außerschulischer Aktivitäten, sozialer Dienste und so weiter –, der hat ein Anrecht darauf, angenommen zu werden; es wäre unfair, ihn oder sie auszuschließen. Niemand hat hingegen ein Recht, zuvorderst nach einem bestimmten Kriterium bewertet zu werden. 11
Hier haben wir die weitreichende, aber umstrittene Behauptung, die im Zentrum des Arguments zugunsten positiver Diskriminierung steht: Eine Zulassung ist nichts, was einem als Belohnung für überlegene Verdienste oder Tugenden zuteilwird. Weder der Student mit guten Testergebnissen noch der Student aus einer benachteiligten Minderheit verdient es in moralischer Hinsicht, an der Universität angenommen zu werden. Ihre Zulassung ist insofern gerechtfertigt, als sie dazu beiträgt, dass die Hochschule ihren selbstdefinierten Daseinszweck erfüllt, nicht aber, weil sie die Studenten für irgendwelche Verdienste oder Tugenden belohnt. Gerechtigkeit bei der Zulassung hat nach Ronald Dworkin nichts mit einer Belohnung von Verdiensten oder Tugenden zu tun; was als faire Möglichkeit gilt, Plätze in den Anfangssemestern zu vergeben, können wir erst wissen, wenn die Universität ihre Aufgabe definiert hat. Diese Aufgabe legt die relevanten Vorzüge fest, nicht umgekehrt.
Dworkins Erklärung der Gerechtigkeit bei der Zulassung zur Universität entspricht damit Rawls’ Vorstellungen einer gerechten Einkommensverteilung: Moralische Verdienste spielen keine Rolle.
Positive Diskriminierung für Weiße?
Hier ein Test für das Argument der Vielfalt: Kann es gelegentlich rassisch begründete Vorzugsbehandlung für Weiße rechtfertigen? Nehmen wir den Fall von Starrett City. Dieser Wohnkomplex in Brooklyn mit 20 000 Einwohnern ist das größte mit Bundesmitteln subventionierte Wohnprojekt in den USA . Es wurde Mitte der 70er Jahre eröffnet und sollte eine rassisch durchmischte Community bilden. Dieses Ziel erreichte man mittels »Vergabelenkung« – der Anteil der afro- und hispanoamerikanischen Bevölkerung wurde auf etwa 40 Prozent beschränkt. Kurz, man stützte sich auf ein Quotensystem. Die Quoten beruhten nicht auf Vorurteilen oder Missachtung, sondern auf einer Theorie über rassische »Umschlagspunkte«, die sich aus anderen urbanen Wohnprojekten ableitete. Die Verantwortlichen wollten den Umschlagspunkt vermeiden, der in anderen Vierteln eine »Flucht der Weißen« ausgelöst und die Integration untergraben hatte. Man hoffte, eine stabile, heterogene Gemeinschaft beizubehalten, wenn man ein rassisches und ethnisches Gleichgewicht anpeilte. 15
Es funktionierte. Die Wohngegend wurde sehr begehrt, viele Familien wollten dort hinziehen, und Starrett City richtete eine Warteliste ein. Aufgrund des Quotensystems, das Afroamerikanern weniger Wohnungen zuteilte als Weißen, mussten schwarze Familien länger warten als weiße Familien. Mitte der 80er hatte eine weiße Familie drei bis vier Monate auf eine Wohnung zu warten, während es für schwarze Familien volle zwei Jahre waren.
Hier lag also ein Quotensystem vor, das weiße Bewerber begünstigte – nicht auf der Basis rassischer Vorurteile, sondern wegen des Ziels, eine integrierte Gemeinschaft beizubehalten. Einige schwarze Bewerber fanden die rassenbewusste Praxis unfair und reichten Klage wegen Diskriminierung ein. Vertreten wurden sie von der NAACP (National Association for the Advancement of Colored People – Nationale Organisation für die Förderung farbiger Menschen ), die in anderen Zusammenhängen positive Diskriminierung befürwortete. Schließlich einigte man sich auf einen Vergleich, der es Starrett City erlaubte, sein Quotensystem beizubehalten, den Staat aber verpflichtete, bei anderen Wohnprojekten den Zuzug von Minderheiten auszuweiten.
War das rassenbewusste Verfahren von Starrett City für die Zuteilung von Wohnungen ungerecht? Nein, nicht wenn man das Argument der Vielfalt zugunsten der positiven Diskriminierung akzeptiert. Rassische und ethnische Vielfalt wirkt sich in Wohnprojekten anders aus als in Hörsälen, und es steht jeweils etwas anderes auf dem Spiel. Doch aus der Perspektive der Fairness stehen oder fallen die beiden Beispiele gemeinsam. Wenn Vielfalt dem Gemeinwohl dient und niemand aufgrund von Hass oder Verachtung abgelehnt wird, dann verletzt die positive Diskriminierung niemandes Rechte. Warum nicht? Nun,
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