Gerissen: Thriller (German Edition)
sagte Ivy. Es fehlte an allen Ecken und Enden an Einzelheiten, aber sie begann den Kern zu erkennen, wie Betty Ann mit dem Geld entkommen war und Frank mit Betty Ann. Und Harrow, nach wie vor ahnungslos, der sie noch immer schützte. »Frank war der mit Verstand«, bemerkte sie. »Das wird ständig behauptet.«
»Wem sagst du das«, meinte Claudette.
Ivy hob das Foto auf, versuchte in Betty Anns Augen zu lesen, doch der nach innen gerichtete Blick schloss sie aus. »Was hast du noch über Vergebung gesagt?«, fragte sie.
»Hä?«
»An dem Abend im Tiki Boat.«
»Was weiß ich«, meinte Claudette. Sie warf einen Blick auf das Foto. »Vergiss das mit der Kopie. Du kannst das verdammte Ding behalten.«
Fünfundzwanzig
E in toller Stoff – so wurde meinem Agenten ständig versichert, hatte Tony B. gesagt. Aber ohne Schluss, wenn Betty Ann Price oder das Geld nicht gefunden werden. Wie soll ich das schaffen, wenn nicht mal die Bullen Betty Ann finden können?
Eine Frage, die zu jenem Zeitpunkt absolut rhetorisch war. Jetzt glaubte Ivy eine Antwort zu wissen.
Sie fuhr nach Norden über die Grenze und war am frühen Nachmittag wieder in Montreal. Es wehte ein kalter Wind, die Menschen auf den Bürgersteigen trugen Winterkleidung. Sie fand die St. Catherine und parkte gegenüber dem Les Girls.
Zeit verging. Ivys aus Filmen abgeschaute Strategie bestand darin, zu warten, bis Mandrell auftauchte, und ihm dann zu seiner Wohnung zu folgen, wo immer das war. Das hatte bei Nick Nolte funktioniert, bei Steve McQueen, Humphrey Bogart und zahllosen anderen; bei ihr funktionierte es nicht. Etliche Männer traten aus dem Les Girls, doch nicht Mandrell. Vielleicht würde er noch stundenlang bleiben; vielleicht benutzte er den Hinterausgang; vielleicht war er gar nicht dort.
Nach viel zu langer Zeit kam sie unvermittelt auf das Offensichtliche.
Sie rief die Auskunft an. Die McCords waren nicht eingetragen. Warum hatte sie überhaupt angenommen, dass er im Telefonbuch eingetragen war? Aber irgendwo musste er eingetragen sein. Jeder Polizist – oder selbst ein Reporter – wäre längst beim nächsten Schritt. Kannte sie irgendwelche Polizisten? Eigentlich nur einen, Ferdie Gagnon, und ihn um Hilfe zu bitten stand völlig außer Frage. Reporter? Nein. Außer … außer Tony B.
»Selbstverständlich erinnere ich mich an Sie«, sagte Tony B. »Lehrerin für Kreatives Schreiben in Dannemora. Der Gold-Dust-Fall. Nettes Mittagessen.«
»Mir hat es auch gefallen.«
»Und jetzt« – er rülpste, wenn auch dezent – »haben Sie noch eine Frage.«
»Ja«, sagte Ivy. »Nehmen wir mal an … Sie haben eine Figur, die die Adresse einer anderen Figur herausfinden muss und alles, was man – sie – hat, ist der Name und die Stadt. Der anderen Figur, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Schweigen trat ein. Dann sagte Tony B.: »Wollen Sie behaupten, Sie hätten Frank Mandrell gefunden?«
»Frank Mandrell?«, wiederholte Ivy. Es klang selbst in ihren eigenen Ohren völlig gekünstelt.
»Das Hirn hinter dem Überfall«, sagte Tony B. »Verschwand im Zeugenschutzprogramm.«
Und daraus ist er auch verschwunden. Doch Ivy sagte nur: »Ach, der. Natürlich nicht. Wie hätte ich das anstellen sollen?«
Erneutes Schweigen. »Vielleicht hat das FBI Ihnen geholfen.«
»Der Direktor des FBI ist mein bester Kumpel«, sagte Ivy. »Aber stattdessen habe ich beschlossen, Sie wegen dieser Adresssache anzurufen.«
Tony B. lachte. »Touché«, gratulierte er. »Aber man kann in solchen Fällen nicht vorsichtig genug sein.«
»Was für Fällen?«
»Bei denen um die Veröffentlichungsrechte gestritten wird.«
»Ich verstehe nicht.«
»Haben Sie Gedächtnislücken?«, fragte Tony B. »Dreihundertneunzehn beschissene Seiten, sogar ohne den Schluss. Die Story gehört mir.«
»Absolut«, erwiderte Ivy. »Ich werde kein Wort darüber schreiben. Mein Interesse gilt Harrows Fiktion.«
»Wie bitte?«, sagte Tony. B. »Sie waren gerade weg.«
»Ich werde kein Wort darüber schreiben, nie.«
»Wir sind uns also einig?«
»Hundertprozentig«, bestätigte Ivy.
»Abgemacht«, sagte Tony. B. »Was Ihre Frage betrifft, es gibt mehrere Möglichkeiten.«
Ivy entschied sich für diejenige, zu der es gehörte, sich in einem Maklerbüro als Käuferin auszugeben und mit einer gut angezogenen Frau und einer Menge Unterlagen, einschließlich der städtischen Steuerlisten, in einem Konferenzzimmer zu sitzen. Kurz darauf fuhr sie durch einen
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