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German Angst

German Angst

Titel: German Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Erfolg bringt, sagte Professor Friedhelm Hofmann, der sich im Zusammenhang mit dem gesuchten roten Kombi gemeldet hatte. Grundsätzlich lässt sich jedoch sagen, dass bei mehr als einem Prozent der Minderjährigen bereits in der Kindheit eine dissoziale Entwicklung einsetzt, die eine hohe Persistenz aufweist, also eine Beharrlichkeit, die nur schwer oder tatsächlich kaum zu therapieren ist. Das ist ein Faktum, das man nicht schönreden kann. Solche Jugendliche mit einer andauernd dissozialen Störung sind in geschlossenen Heimen oder im Strafvollzug anzutreffen. Ich kenne Lucy Arano nicht persönlich, würde sie aber zu diesem Kreis junger Menschen zählen, denen wir nur mit enormem pädagogischem Aufwand beikommen, wenn überhaupt. Ich plädiere nicht dafür, das Mädchen wegzusperren oder auszuweisen. Es geht vielmehr darum, Fehler zu vermeiden und Realitäten zur Kenntnis zu nehmen… Ich glaube, sagte Elsbeth Lang, eine der Nachbarinnen von Natalia Horn, die Aufregung um dieses Mädchen ist künstlich. Es ist doch so: Die Altersstruktur der Kriminellen ändert sich, und zwar weltweit. Sie werden immer jünger und auch Kinder morden schon. Dass Lucy noch nicht gemordet hat, ist Zufall. Auf diesen allgemeinen gesellschafllichen Wandel in Form der Frühreife bleibt der Gesetzgeber eine Antwort schuldig, so schauts aus. Kinder sind de jure ab vierzehn strafmündig, von der biologischen Entwicklung her unterlaufen sie diese Schwelle aber. Wenn Eltern bei der Erziehung so eklatant versagen, dann müssen sie dafür zur Verantwortung gezogen werden, und wenn das nicht möglich ist, dann muss der Gesetzgeber handeln. Wir dürfen doch dieses Mädchen nicht sich selber überlassen…
    Warum mussten es einundsiebzig Straftaten werden?, fragte Karl Reling, ein anderer Nachbar. Wieso haben die Behörden nicht eingegriffen? Vielleicht wäre dem Mädchen noch zu helfen gewesen…
    Natürlich kannte Funkel auch eine Reihe von Zeugenaussagen, in denen es nicht um unterschwellige Anklagen und Vorverurteilungen ging, sondern in denen die Befragten bemüht waren, sich so präzise wie möglich an Beobachtungen oder Gespräche zu erinnern, die den Fahndern, helfen könnten. Doch fast immer äußerten auch diese Zeugen am Ende ihre ganz persönliche Meinung und nur in den wenigsten Fällen las Funkel daraus Sympathie für Lucy Arano oder wenigstens eine zurückhaltende Bewertung ihres Seelenzustands. Sie war eine Verbrecherin, diese Einschätzung teilte offensichtlich jeder.
    Und das war der Grund, weshalb Karl Funkel Lucys Angriff im Gefängnis für eine Art Größten Anzunehmenden Unfall hielt. Nun würden auch die letzten Zweifler nicht länger zweifeln und in den verantwortlichen Köpfen bei der Stadt und der Justiz würde kein Raum mehr sein für behutsame Gedanken und distanziertes Betrachten. Mit ihrer Tat hatte Lucy jenen Spielraum zerstört, auf dem Funkel eine vage Zuversicht begründet hatte. Trotz seiner scheinbar gnadenlosen Härte bei der Beurteilung der Lage hätte der Staatsanwalt unter Umständen bereit sein können, seine Strategie zu ändern. Dann nämlich, wenn es gelungen wäre, Lucy nicht als mutwillige aggressive Täterin hinzustellen, sondern als Opfer schwerer psychischer Störungen, ausgelöst durch den Tod ihrer Mutter, über den sich Funkel – auf eindringliche Bitte von Tabor Süden hin, das musste er zugeben – inzwischen informiert hatte. Es wäre die große Chance gewesen, den Plan der Ausweisung ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen. Doch nach dem Vorfall der vergangenen Nacht, den die ganze Nation mittlerweile mit eigenen Augen miterlebt hatte, war Lucys Rolle als Opfer eine Farce. Ein Millionenpublikum war – nach der inzwischen vermutlich zwanzigsten Wiederholung – Zeuge davon, wie dieses Mädchen, ohne eindeutig provoziert oder auf irgendeine Weise angegriffen worden zu sein, mit brutaler Gewalt auf eine wehrlose Frau losgegangen war und diese – das war nach den drastischen Bildern durchaus vorstellbar – um ein Haar getötet hätte. Die Bezeichnung »lucylianisches Desaster«, von der Funkel durch Tabor Süden erfahren hatte, fand er zutreffend. Und er und seine vierundvierzig Kollegen aus der Sonderkommission waren davon ebenso betroffen wie die verletzte Reporterin.
    »Was spricht eigentlich gegen die Ausweisung, wenn wir dadurch die Frau freikriegen?«, fragte einer der Kommissare, nachdem es Funkel endlich gelungen war, die Diskussionen zu beenden. »Nichts!«, sagte ein

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