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German Angst

German Angst

Titel: German Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Mordsschiss hatten die… Chief Obey hat auf der Beerdigung gesungen, von der Schallplatte, das war das letzte Mal, dass ich mir einen Song von ihm angehört hab, interessiert mich nicht mehr… Ist alles vorbei.«
    Im nächsten Moment streckte sie die Beine aus, plumpste auf den Rücken und sah zur Decke hinauf. Unübersehbar hatte sie beschlossen mit dem Reden aufzuhören.
    »Bis morgen!«, sagte Süden und machte die Tür auf. Am Ende des Flurs sah er Gieseke und einen zweiten Mann, vermutlich den Rechtsanwalt. Nach einem Blick auf das reglos daliegende Mädchen schloss er die Tür und blieb noch einen Moment stehen.
    Plötzlich musste er an den Satz seines Vaters denken, jenen Satz, den er lange Zeit wie ein unlösbares Rätsel mit sich herumgetragen hatte: Gott ist die Finsternis und die Liebe das Licht, das wir Ihm geben, damit Er uns sehen kann. Damit Er uns sehen kann, dachte Süden, während er dastand und von den beiden Männern beobachtet wurde. Aber wenn man die Liebe verloren hat, bleibt man dann für immer ungesehen? Unbegleitet?
    Vielleicht, dachte Tabor Süden jetzt zum ersten Mal, vielleicht hatte sich sein Vater getäuscht, vielleicht hatte ihn nur die Wut arrogant und selbstherrlich gemacht, vielleicht ging es ihm überhaupt nicht um Gott. Sondern um die Menschen, die um uns herum sind und um deren Blicke wir betteln, um deren Gunst wir buhlen, nach deren Nähe wir uns sehnen. Und wenn wir enttäuscht werden, oft und grausam enttäuscht, und wenn jemand stirbt, dessen Atem unsere sanfte, geduldige Gegenwart war – wer schützt uns dann vor der allmächtigen Leere in uns, die uns zwingt weiterzuleben, erbarmungslos gegen alle und uns selbst?
    Sein Vater war eines Tages verschwunden. Und Lucy, dachte Süden jetzt, tut das Gegenteil: Sie protzt gewaltig mit Anwesenheit. Und zwischen den beiden bin ich und ich gehöre zu keinem von euch, ich bin meine eigene Wunde. Was soll ich tun?

12   17. August, 07.16 Uhr
    E s schien, als habe die nächtliche Sendung über Lucys Angriff auf die Reporterin die Einschaltquote eines internationalen Fußballspiels erreicht. In den Geschäften, Bussen, Tram und U-Bahnen hatten die Leute kein anderes Thema und die Zeitungen, die ihre Ausgaben noch um Mitternacht aktualisiert hatten, brachten halbseitige Fotostrecken, auf denen der Kampf des Mädchens mit Nicole Sorek in Großaufnahmen dokumentiert wurde. In den meisten Artikeln wurde verschwiegen, dass das Fernsehteam ohne Genehmigung gefilmt hatte, offenbar hatte der Sender in seinen ersten Presseerklärungen diesen Punkt übergangen und die Kollegen von den Printmedien hatten keine Zeit, um nachzufragen. Zwei Redakteure aus Berlin und Hamburg taten es dennoch und druckten eine Stellungnahme des Gefängnisleiters ab. Im Lauf des Tages entwickelten sich dessen Aussagen zum Streitthema aller, die ihre Meinung zu dem Fall abgaben. Die Frage lautete: Hat sich Nicole Sorek mit ihren geheimen Aufnahmen strafbar gemacht oder war es vielmehr ihre Pflicht als Journalistin die Wahrheit zu zeigen und wenn nötig mit unlauteren Mitteln?
    Und bis ein Richter die einstweilige Verfügung für zulässig erklärte, strahlte »Vor Ort« das gedrehte Material weiter aus und verkaufte Teile davon an andere Sender. Als Karl Funkel morgens ins Dezernat kam, lief in allen Büros dasselbe Programm, und als eine Stunde später die erste Besprechung der Soko Natalia stattfand, brauchte er zehn Minuten, um Ruhe herzustellen, so aufgeregt und vom eigenen Standpunkt lautstark überzeugt redeten seine Kollegen aufeinander ein.
    Für Funkel waren die Ereignisse im Gefängnis Am Neudeck eine Art GAU. Dabei befürchtete er nicht, dass durch Lucys Attacke die Ermittlungen erschwert würden. Die meisten Leute gaben schon jetzt bereitwillig Auskunft, weil ihnen anscheinend nichts mehr am Herzen lag als darzustellen, für wie bedrohlich und staatszersetzend sie dieses Mädchen hielten.
    Sie wollten alles dafür tun, damit die Entführer bald gefasst wurden und damit man dann, vollkommen legal, Lucy samt ihrem überforderten Vater dorthin zurückschicken könnte, wo die beiden angeblich herkamen. Was Funkel zunehmend erschreckte und verblüffte, war der Tonfall der Protokolle, die die Fahnder nach Zeugenaussagen schrieben, auch wenn manche auf den ersten Blick wirkten wie Äußerungen besorgter Bürger, die nichts weiter forderten als sachliche Aufklärung.
    Selbstverständlich ist zu hoffen, dass die intensivpädagogische Betreuung den gewünschten

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