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German Angst

German Angst

Titel: German Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Seite. »So… und dann – dann gehst du doch wieder aufrecht weiter, als wäre alles normal. Aber dann wird dir bewusst, dass es keine Rückkehr gibt, dass du unumkehrbar Teil dieser lächerlichen Welt bist, in der niemand begreift, wer du bist und was in dir vorgeht. Sie sehen dich bloß an und sie sehen, dass du schwarz bist und ein Mädchen. Und du willst, dass sie sehen, du bist eine Gesandte des Schmerzes, du willst, dass sie begreifen, sie entkommen dir nicht, so wie du deinem Keller nicht entkommst. Du zeigst ihnen, was es heißt, verwundet zu sein, und sie denken, du willst ihnen Angst einflößen, dabei bringt dich ihr kleinliches Gezeter nur zum Lachen: Ich bin ein Mädchen, wovor fürchten sie sich? Vor meiner Hautfarbe? Nein. Vor meinen Schlägen? Ein bisschen. Wovor also? Wovor, Lucy?«
    Ihren Namen hatte er so leise gesagt, dass sie unwillkürlich den Kopf schief legte.
    »Wovor fürchten sie sich?«, wiederholte Süden leise. Er kniete sich vor sie hin, nahm ihre Hände, die kalt waren, und legte sie an seine Wangen. »Sie fürchten sich«, flüsterte er und Lucy spürte seine Bartstoppeln und die Berührung gefiel ihr, »weil es ihrer Natur entspricht. Es ist praktisch für sie, dass du schwarz bist, so haben sie eine Rechtfertigung für ihr Verhalten. Ein schwarzes Kind, das wahllos Menschen angreift, ist ein Glücksfall für sie, du bist ein Fleisch gewordener Angstmagnet. Sie denken, je mehr sie dich fürchten müssen, desto weniger wird ihre Furcht, sie denken, du saugst die Furcht aus ihnen heraus und wenn sie dich dann verjagt und verbannt haben, weit weg in der Gewissheit, du kommst nie wieder zurück, freuen sie sich wie Kinder. Und dann fürchten sie sich wieder und suchen sich eine neue Lucy.«
    »Du?«, sagte sie und traute sich kaum, normal zu sprechen. »Wer sind ›sie‹?«
    Süden legte ihr die Hände auf die Knie und erhob sich.
    »Wir. Wir alle. Niemand ist eine Ausnahme.«
    Schritte kamen näher und dann öffnete Hermann Gieseke die Tür.
    »Ich hab Sie absichtlich eine Weile allein gelassen, aber jetzt müssen Sie gehen. Lucy Arano ist mit Einzelhaft bestraft worden und daran hat sich nichts geändert.«
    »Noch fünf Minuten«, sagte Süden, »meine Vernehmung ist noch nicht zu Ende.«
    »Ich bin nicht einverstanden, aber ich werde ihre Arbeit in diesem speziellen Fall nicht behindern. Dann formuliere ich jetzt mit unserem Anwalt die einstweilige Verfügung und Sie überziehen die fünf Minuten bitte nicht.«
    Er verschwand und Süden schloss die Tür. Schweigend setzten sie sich auf die Pritsche. Süden gab Lucy die Decke und sie wickelte sie um ihre Beine.
    »Bist du jetzt heiser?«, fragte sie schließlich.
    »Nein«, sagte er.
    Sie musste daran denken, wie er an ihr vorbeigeschrien hatte. Irgendwann würde sie ihn fragen, was das zu bedeuten hatte. Auf jeden Fall hatte sie auf diese Weise zugehört, jedem Wort, jedem rausgebrüllten Satz, und das war ihr schon lange nicht mehr passiert, meistens hörte sie weg, noch bevor der andere richtig Luft holte.
    »Du treibst dich viel auf Flohmärkten herum«, sagte Süden.
    »Kennst du jemanden, der speziell mit Schreibmaschinen handelt?«
    Was hat er jetzt wieder vor, dachte sie. Ich will jetzt allein sein, glaubt der, ich brauch Schreibmaschinen? Wenn ich jemand was mitteilen will, dann sag ichs ihm, verdammt!
    »Nö«, sagte sie.
    »Die Entführer haben einen Brief geschrieben, der wurde auf einer alten Olympia US getippt, das haben unsere Fachleute rausgefunden.«
    »Krass!«
    »Meine Kollegen waren auch schon an der Arnulfstraße und im Kunstpark und auf ein paar kleineren Märkten. Aber niemand konnte da mit so einer Maschine was anfangen. Die Dinger sind klein, handlich, eine Art Reiseschreibmaschine. Hast du so eine schon mal gesehen?«
    »Ich bin keine Tippse.«
    »Kennst du jemanden, der mit Schreibmaschinen handelt, mit alten, seltenen? Das ist eine aus dem Krieg…«
    »Aus dem Krieg?«, sagte Lucy und rieb unter der Decke die Hände aneinander, weil ihr immer noch kalt war. »Aus welchem Krieg?«
    »Aus dem Zweiten Punischen Krieg. Kennst du jemanden, der mit solchen Sachen handelt?«
    »Klar.«
    Süden wartete einfach ab. Lucy überlegte, dann drehte sie sich zur Wand.
    »Rommel.«
    »Wer?«
    Sie stand auf und beugte sich an der Schmalseite der Pritsche zu Süden hinunter.
    »Der Typ heißt Rommel, kann ich was dafür? Er arbeitet nur mit Katalogen.«
    »Was für Katalogen?«
    »Katalogen! Ka-ta-log, kommt irgendwie

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