German Angst
Süden beobachtete den jungen Mann, der jetzt weiterging und vor der nächsten Haustür stehen blieb. Er rauchte und sah auf seine Armbanduhr.
»Die Konkurrenz«, sagte Sonja. Sie ließ das Seitenfenster heruntergleiten und fächelte sich Luft zu, die sie kaum erfrischte.
»Ich hol mir da drüben eine Flasche Wasser, eiskalt.«
»Warte!«, Süden riss die Hintertür auf und rannte über die Straße. Der junge Mann hatte das Haus betreten und die Tür fiel langsam zu. Im letzten Moment hielt Süden die Hand dagegen. Er gab seiner Kollegin ein Zeichen, von dem sie nicht wusste, was er ihr damit sagen wollte, und verschwand im Hausflur.
»Grüß Gott«, sagte er zu dem jungen Mann, der auf der ersten Treppenstufe stand.
»Hallo.«
Süden zwängte sich an ihm vorbei und ging nach oben. Es gab keinen Lift. Der junge Mann wartete noch etwas, dann nahm er die Kästen und machte sich auf den Weg. Im zweiten Stock blieb er vor einer Tür stehen. Vorsichtig, als wolle er kein Geräusch machen, stellte er die Träger ab und blickte die Treppe hinauf. Von dem Mann, der ihn überholt hatte, war nichts zu sehen. Er griff in die Tasche und holte einen Schlüssel heraus. Bevor er aufsperrte, hielt er inne und lauschte. Nichts. Er steckte den Schlüssel ins Schloss, schob die Tür auf, stellte die Träger in die Wohnung und wollte gerade hineingehen, als er Schritte hörte. Kaum hatte er sich umgewandt, stand der Mann mit der Lederjacke neben ihm und keuchte. Anscheinend hatte er von oben drei Stufen auf einmal genommen und war die letzten zwei Meter einfach heruntergesprungen. Dem jungen Mann klopfte das Herz bis zum Hals.
»Nochmals grüß Gott«, sagte Tabor Süden. Der junge Mann schaute ihn an wie eine Erscheinung. Süden zeigte ihm seinen grünen Dienstausweis.
»Wer wohnt hier?«
Der junge Mann kratzte sich am Kopf. Er war etwa zwanzig, untersetzt und hatte eine graue Hautfarbe. Er trug eine neue weiße Trainingshose mit roten Streifen und rote Turnschuhe, über seinem Bauch wölbte sich ein weißblaues T-Shirt mit der Aufschrift LÖWENBRÄU.
»Ääh…«, sagte er unsicher.
»Liefern Sie hier öfter die Getränke an?«
»Ääh…«
»Wie heißen Sie denn?«
»Ääh…«
»Also ich heiß Tabor Süden. Süden. Und Sie?«
»Ääh, Renner. Klaus Renner.«
»Liefern Sie hier öfter Getränke an?«
»Ja.«
»Für wen?«
»Verschieden.«
Renner wurde etwas ruhiger. Langsam erinnerte er sich daran, was die Frau, der er die Getränke brachte, ihm heute Vormittag eingeschärft hatte.
»In dieser Wohnung wohnt Ilona Leblanc«, sagte Süden und wischte sich den Schweiß vom Hals. »Frau Leblanc wird von uns überwacht, weil wir vermuten, dass sie etwas mit dem Verschwinden ihrer Chefin zu tun hat. Ich möchte gern wissen, wann sie Ihnen diesen Auftrag erteilt hat und wo sie sich im Moment aufhält.«
»Weiß ich doch nicht«, sagte Renner.
»Wann hat sie Ihnen den Auftrag erteilt?«
»Heut früh irgendwann. Das macht sie oft, wenn sie keine Zeit hat selber einzukaufen. Ich hab extra einen eigenen Schlüssel.«
Süden musterte ihn und Renner war sich sicher, noch nie so grüne Augen gesehen zu haben.
»Ich geh jetzt ins Wohnzimmer und Sie bleiben hier in der Küche«, sagte Süden.
»Haben Sie einen Durchsuchungsbefehl?«, rief Renner.
»Ich durchsuch ja nichts.«
Er erwartete nicht, Katharina Wagner hier zu finden, obwohl er es für möglich hielt, dass ihre Freundin Ilona sie versteckte. Katharinas Verschwinden war ihm ein Rätsel. Bei allem, was er bisher erfahren hatte, deutete nichts darauf hin, dass sie es nötig gehabt hätte, heimlich Geld von der Bank abzuheben und damit durchzubrennen. Wenn sie kein Interesse mehr an der Arbeit im Hotel hatte und etwas Neues beginnen wollte, brauchte sie sich deswegen nicht zu verstecken. Sie konnte tun, was sie wollte. Warum war sie verschwunden?
»Haben Sie was gefunden?«, fragte Renner. Er hatte mehrere Flaschen im Kühlschrank verstaut und die Kästen unter das Küchenfenster geschoben.
»Nein«, sagte Süden.
»Ich weiß nichts«, sagte Renner, nachdem ihn der Kommissar eindringlich angesehen hatte.
»Hat Frau Leblanc heut Morgen von ihrer Chefin gesprochen?«
»Ääh…«
»Was hat sie gesagt?«
»Dass das schlimm ist, dass sie verschwunden ist. Und dass sie vielleicht entführt worden ist.«
»Warum denn?«
»Um Lösegeld zu erpressen.«
»Das hat Frau Leblanc zu Ihnen gesagt?«
»Ääh… Das hab ich mir so gedacht.«
»Was hat sie noch
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