German Angst
ihn motivieren. Oder hier der Franz, der ist zu was zu gebrauchen, stellt keine Fragen, tut, was man ihm anschafft. Du hättst sehen sollen, wie der die Türkin angegangen ist! Würd man dem gar nicht zutrauen, der macht doch eher einen schüchternen Eindruck. Oder hier unser Harald, ein Jammer, dass sie ihn aus dem Schuldienst verwiesen haben. Der hatte Mut, hat unsere Zeitung in der Pause gelesen…«
»Den mag ich nicht«, sagte Senta. »Er ist mir unheimlich. Ich bin froh, wenn er nicht zu den Versammlungen kommt.«
»Der ist in Ordnung, der Harald, der hat keine Angst vor nichts und niemand. Und der Vaclav gehört auch dazu, der ist ausgekocht, der weiß, wie man mit Leuten umspringen muss, damit sie das tun, was man will.«
»Wie groß soll die Gruppe denn werden?« Senta setzte sich und trank aus dem Weißbierglas ihres Mannes.
»Die Mannschaft muss überschaubar bleiben, kontrollierbar, jeder Einzelne, sehr wichtig. Keiner darf ausscheren.«
»Und was tust du, wenn einer trotzdem ausschert, wenn er zur Polizei geht und euch alle hinhängt, was tust du dann?«
»Dann krieg ichs raus und er ist fällig.«
»Was meinst du damit?«
»Wie ichs sag, so mein ichs.« Es klingelte an der Tür.
»Pünktlich, unser Ostexperte.« Senta stand auf. »Trinkt ihr Schnaps?«
»Stell uns die Flasche und die Gläser her, ich ruf dich, wenn wir so weit sind.«
»Geheimniskrämer!«
»Wir arbeiten an der Zukunft, da brauchen wir Ruhe«, sagte Scholze und legte die Zettel ordentlich auf einen Stapel. Dann lehnte er sich zurück und hörte Rossis Stimme draußen im Flur. Er strich sich über den Bauch. An dem Leberragout mit Stachelbeeren, das seine Frau alle paar Monate zubereitete, konnte er sich auch nach sechsundzwanzig Ehejahren nicht satt essen.
Sie hatte jedem ein Stück Pizza auf den Teller gelegt, aber beide rührten es nicht an. Im Wohnzimmer, wo sie saßen, brannten überall Kerzen, auf dem Sofa lagen drei Geschenke, unterschiedlich groß, eingewickelt in buntes Papier, beklebt mit Blumen und Herzen. Durch die offene Balkontür wehte ein süßer Duft herein, von Kuchen und Blüten vielleicht. Leise Musik erklang, Saxofon und Synthesizer, Melodien, die das Vergehen der Zeit verzierten. Es war bereits neun Uhr abends und der dritte Platz am Tisch war noch immer leer.
»Erzähl was«, sagte Natalia Horn. Sie trug ein leichtes blaues Kleid und goldfarbene Sandalen, rote Ohrclips und eine künstliche Rose im Haar. Nachdem sie das Blech in den Ofen geschoben hatte, hatte sie ein Bad genommen und sich viel Zeit dabei gelassen. Derweil hatte Arano die Geschenke eingepackt.
Er trug das zitronengelbe Hemd, das Natalia ihm zum Geburtstag geschenkt hatte. Er fand es etwas drastisch von der Farbe her, aber sie meinte, es würde ausgezeichnet zu seiner schwarzen Haut passen, und was ihr gefiel, das war ihm recht. Barfuß saß er am Tisch, die Arme um den Teller mit der Pizza gelegt, die Hände gefaltet, und strich Natalia manchmal wie unbeabsichtigt mit den Zehen über die Wade. Sie reagierte nicht und er hörte wieder damit auf.
Am Anfang redete Arano über den neuen Auftrag, den er vielleicht bekommen würde, dann erzählte Natalia, was Dertutnix, der Hund ihrer Angestellten Ines, alles im Garten angestellt hatte, und dann schwiegen sie. In der Küche hatten sie noch überlegt, ob sie die Pizza schon anschneiden sollten, bevor Lucy da war. Aber sie hatten beide Hunger gehabt und es hatte so gut nach Tomaten und Knoblauch und frischen Gewürzen gerochen, dass sie nicht widerstehen konnten. Als sie dann am Tisch saßen und Arano den Weißwein eingeschenkt hatte, legten sie beide gleichzeitig das Besteck wieder hin und sahen sich an. Sie hatten einen Schluck getrunken und schon das Anstoßen war ihnen schwer gefallen. Aranos Worte vermischten sich mit der Musik und was Natalia sagte, vergaß sie im nächsten Moment. Bei jedem Geräusch an der Tür horchten sie auf und danach ermutigten sie einander mit Blicken.
»Erzähl was!«
»Sie kommt bestimmt«, sagte er. »Ich weiß, sie wird kommen.«
»Erzähl mir was, bitte!«
Wieder strich er ihr mit den Zehen über die Wade und diesmal klemmten ihre Beine seinen Fuß ein. Arano schob den Teller beiseite und beugte sich über den Tisch.
»Meine Großmutter hat an ihrem vierzehnten Geburtstag was so Besonderes erlebt, dass sie ihr Leben lang davon erzählt hat«, sagte er und seine tiefe, ruhige Stimme vertrieb eine Weile Natalias Kummer. »Jedenfalls bei jeder
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