German Angst
gesagt?«
»Nichts. Sie hat nur gesagt, was ich bringen soll.«
»Dieselbe Bestellung wie immer.«
»Klar.«
Süden wusste sofort, dass Renner log. Er brauchte ihn nur im Spiegel anzusehen. Der junge Mann hatte den Kopf leicht gesenkt und bemühte sich lässig zu wirken. Was Süden aber sah, war alles andere als eine lässige Pose, sondern hilflos getarnte Verkrampfung.
»Ist gut«, sagte er und ging zur Tür.
Renner folgte ihm, sperrte ab und blieb im Treppenhaus vor dem Kommissar stehen.
»Ist noch was?«
»Ja«, sagte Süden, »geben Sie mir bitte den Schlüssel!« Wie von einem Stromschlag getroffen zuckte Renners Hand zurück.
»Darf ich nicht!«, sagte er und kratzte sich am Kopf.
»Der gehört Frau Leblanc, die hat gesagt, ich darf den niemand geben, niemand! Weil… ääh… weil sie hat ihren nämlich verloren, deswegen braucht sie unbedingt meinen, also den hier…«
»Wann hat sie ihren Schlüssel verloren, Herr Renner?«
»Bitte?«
Im Hausflur war es kühl und Tabor Süden fand es angenehm hier zu sein, besser als in einem stickigen Auto zu sitzen und ein Haus anzustarren. Außerdem war er gespannt, ob Renner aus seinem eigenen Labyrinth wieder herausfinden würde. Es sah nicht danach aus.
»Sie haben gesagt, Frau Leblanc hat heute Morgen die Getränke bestellt, da hatte sie ihren Schlüssel noch. Oder?«
»Ja, ja…« Renner umklammerte den Schlüssel, der an einer grünen Plastikmaus hing.
»Aha.« Süden lehnte sich an die Wand und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Sie hat angerufen!« Renner hob den Kopf und machte große Augen, als werde er gerade von einer Erkenntnis gestreift.
»Mittags, sie hat angerufen und gesagt, sie hat ihren Schlüssel verloren. Und dass sie meinen nimmt, wenn sie abends nach Hause kommt, wir haben ja bis acht geöffnet und sie kommt gegen halb acht nach Hause.«
»Sie hat aber heute Dienst bis elf.«
Renner öffnete den Mund und ein Hauch von blasser Röte überzog sein graues Gesicht.
»Sie geben mir den Schlüssel und ich geb ihn Frau Leblanc. Wir überwachen das Haus, wie Sie wissen, wir werden sie nicht übersehen.«
Von oben kam eine alte Frau gebückt die Treppe herunter, sie grüßte Renner und warf Süden einen kritischen Blick zu. Er wartete, bis sie im ersten Stock war, dann streckte er die Hand aus. Renner wich zurück. Eine Minute lang, während der Arm in der Lederjacke unbeweglich auf ihn gerichtet war, dachte der junge Mann über einen grandiosen Trick nach, der ihn in den Augen seines Chefs zu einem cleveren Burschen machen würde, auf den man sich endlich mal verlassen konnte.
»Er hat versucht, den Schlüssel aus dem Fenster zu werfen«, sagte Tabor Süden, als er wieder auf der Rückbank des Opel Vectra saß und von Sonja die Flasche Mineralwasser entgegennahm, die sie in dem Getränkemarkt gekauft hatte. »Er rannte zum Flurfenster, aber ich war schneller.« Er trank einen Schluck und gab Sonja die Flasche zurück.
»Und du bist sicher, er soll den Schlüssel Katharina geben, wenn sie auftaucht?«
»Natürlich. Der Besitzer des Ladens behauptet, Ilona habe Katharina überhaupt nicht erwähnt. Der kleine Dicke hätte beinah einen Schock gekriegt. Die zwei scheinen kein eingespieltes Team zu sein. So wie wir.«
Sonja blickte in den Rückspiegel. Süden beugte sich vor, streichelte ihren Nacken und sie drehte den Kopf. In ihren Augen konnte er lesen, dass diese Nähe wie Schnee war, der schmolz, wenn man ihn berührte. Er nahm die Hand weg und sah aus dem Fenster, ins dösige Licht dieses Nachmittags. Gierig trank Sonja aus der Wasserflasche. Süden griff zum Autotelefon.
»Habt ihr sie gefunden?«
»Nein«, sagte Freya Epp. »Florian und ich waren überall, in den Billardsalons, auf dem Flohmarkt an der Arnulfstraße, da waren wir zwei Stunden, aber niemand hat sie gesehen. Danach sind wir im Kunstpark Ost gewesen, in jeder Halle. Sie war nicht da. Wir sind jetzt am Bahnhof und kontrollieren die Spielhallen. Florian hat mindestens hundert Leute interviewt, ich hab gar nicht gewusst, dass der so schnell ist.«
»Gib ihn mir!«, sagte Süden.
»Hier ist Nolte.«
»Wieso hast du so viele Leute interviewt?«
»Ich mach mir Sorgen um das Mädchen, ich glaub, der gehts nicht gut«, sagte Nolte.
»Kann sein«, sagte Süden. Er beendete das Gespräch und wunderte sich über den Eifer des dreiunddreißigjährigen Oberkommissars. Normalerweise musste man ihn ziemlich anschieben, wenn er Außendienst hatte.
»Beeil dich!«,
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