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Germania: Roman (German Edition)

Germania: Roman (German Edition)

Titel: Germania: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Gilbers
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beschreiben?«
    »Normal groß. Vielleicht eins siebzig. Langer Mantel. Kein Hut.«
    »Wenn er keinen Hut trug, welche Haarfarbe hatte er?«
    Fräulein Becker blickte ihn unsicher an. »Ich würde sagen, eher hell. Ich weiß es nicht mehr genau.«
    »Hell? Meinen Sie damit weißhaarig?«
    »Nein, es glänzte. Wie bei Jean Harlow damals in den amerikanischen Filmen.«
    Oppenheimer versuchte, das Bild der Wasserstoffblondine mit dem mutmaßlichen Täter in Einklang zu bringen, doch es wollte ihm nicht so recht gelingen. Fräulein Becker musste Oppenheimers ungläubigen Blick bemerkt haben. Entschuldigend fügte sie hinzu: »Ich schätze, ich bin wohl etwas übermüdet. Mehr konnte ich jedenfalls nicht erkennen.«
    Oppenheimer hatte die Erfahrung gemacht, dass sich jeder Zeuge beeinflussen ließ. Viele begannen bei wiederholtem Nachfragen ihrer eigenen Beobachtungsgabe zu misstrauen und bestätigten einfach nur, was ihnen vorgesagt wurde. Er merkte, dass dieser kritische Punkt auch hier schon fast erreicht war.
    »Wir wären dann fertig«, sagte er. »Vielen Dank für Ihre Bemühungen.«
    Ohne sich zu verabschieden, zog Fräulein Becker mürrisch ihre Jacke an und verließ die Polizeistation.

18
    Montag, 12. Juni 1944 – Samstag, 17. Juni 1944
    A n diesem Morgen gönnte sich Oppenheimer nur wenig Schlaf. Er legte sich lediglich in Zehlendorf auf das Polstersofa im Wohnzimmer und ruhte für zwei kurze Stunden inmitten der überall verstreuten Notizzettel aus. Obwohl Voglers Leute bereits den gesamten Friedhof und dessen Umgebung abgesucht hatten, blieben die Arme des Opfers verschwunden.
    Vogler hatte dafür gesorgt, dass die Sektion der Toten unverzüglich stattfand. Am frühen Nachmittag fuhren sie zum Leichenschauhaus, um der Untersuchung beizuwohnen. Dr. Gebert ließ es sich nicht nehmen, die Obduktion selbst durchzuführen. Man sah ihm an, dass er nicht erfreut war, Oppenheimer schon so bald wieder zu Gesicht zu bekommen. Sein ohnehin mürrischer Blick verfinsterte sich noch mehr, als er den Leichnam sah.
    Oppenheimer interessierte sich besonders für die Schnittflächen an den Schultergelenken.
    »Interessant«, sagte Gebert, als er die Schnittflächen inspizierte.
    »Wie hat er es geschafft, die Arme abzutrennen?«, fragte Oppenheimer.
    Gebert quittierte die Unterbrechung seiner Überlegungen mit einem verdrießlichen Blick. »Er hat wohl ein Messer dazu benutzt. Das geht recht einfach. Ich will es mal allgemeinverständlich formulieren. Normalerweise sitzt hier in der Gelenkpfanne des Schulterblatts das Caput humeri, der Oberarmknochenkopf.« Gebert zeigte auf das helle Knochenstück, das im Fleisch deutlich zu erkennen war. »Dort gibt es eine Mulde. Der Täter hat bis zu dieser Stelle ins Gewebe eingeschnitten. Dann musste er nur noch um das Gelenk herumschneiden.«
    »Er verfügt also über gewisse Kenntnisse der Anatomie?«, fragte Oppenheimer.
    »Sie meinen, dass er vielleicht ein Arzt ist? Nicht unbedingt. Die Gelenke von Tier und Mensch sind in mancherlei Hinsicht recht ähnlich aufgebaut. Mit der Methode, die er angewendet hat, wird auch Schlachtvieh zerlegt.«
    Aufgrund der Körpertemperatur der Leiche schätzte Dr. Gebert, dass der Mörder sie vor etwa achtzehn Stunden getötet hatte. Ihre übrigen Verletzungen, inklusive der Stahlnägel in den Gehörgängen, erwiesen sich als identisch zu den Funden bei Inge Friedrichsen.
    Oppenheimer hatte erfahren, was er wissen wollte, und verließ das Leichenschauhaus, noch bevor Dr. Gebert mit der Sektion richtig begonnen hatte. Er fragte sich, was der Mörder wohl mit den Armen der Frau getan hatte. Zurück in Zehlendorf, meditierte er vor den Photographien der anderen Fundorte. Er versuchte, bei den Verletzungen ein Muster zu erkennen, in das die abgetrennten Arme hineinpassen würden. Aber sosehr er sich auch anstrengte, einen nachvollziehbaren Zusammenhang konnte er nicht entdecken.
    Doch wenigstens der hinzugezogene Sicherheitsdienst hatte einen Volltreffer gelandet. Schon am späten Nachmittag trat Vogler strahlend ins Zimmer. »Wir haben das Opfer identifiziert und wissen auch, wo sie anschaffte«, berichtete er triumphierend.
    »Sie war also eine Professionelle?«, fragte Oppenheimer.
    »Sie hatten recht gehabt. Die Dame hatte zu viel Klasse für eine ordinäre Staßenhure. Ich hatte Güttler damit beauftragt. Er sollte mit dem Porträtphoto in den bekannten Edelbordellen nachfragen. Schon das erste Etablissement erwies sich als Treffer – der Salon

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