Germania: Roman (German Edition)
wieder bei Ihnen.« Er ergriff seinen Hut und gab ihr zum Abschied die Hand.
»Also, ich bin dagegen«, grummelte Bauer.
Als die beiden gegangen waren, teilte Oppenheimer seiner Gastgeberin die letzten Neuigkeiten mit. Insbesondere die Entdeckung der Bekennerschreiben löste in Hilde großes Interesse aus. »Wenn ich mir das so durch den Kopf gehen lasse, dann glaube ich fast, dass Pünktchen und Anton auf dem Holzweg sind«, meinte sie schließlich.
Oppenheimer blickte Hilde zunächst fragend an, doch als er sich erinnerte, dass sie jedem einen Spitznamen zu geben pflegte, schloss er daraus, dass sie Bauer und Lüttke meinte. Allerdings schien Hilde Kästners Pünktchen und Anton mit Emil und die Detektive verwechselt zu haben.
Gedankenverloren schüttelte Hilde den Kopf. »Ich denke, dass die politische Agenda unseres Mörders nur vorgeschoben ist.«
Diese Schlussfolgerung kam für Oppenheimer überraschend. »Wie meinst du das?«
»Wenn deine Angaben zutreffen, dann hat er es auf Frauen abgesehen, die seiner Meinung nach Huren sind. Er hegt eine pathologische Abneigung gegen sie, die so weit geht, dass er sie umbringt. Manchmal kommt es bei Massenmördern vor, dass sie ihre eigenen Taten rechtfertigen. Warum es diesen Drang gibt, ist nicht eindeutig geklärt. Ich schätze, dass der Grund bei jedem Täter woanders zu suchen ist. Viele werden sicher das Bedürfnis haben, ihre Taten vor sich selbst zu rechtfertigen. Vergiss nicht, beim ersten Mord hat der Täter noch keine Routine, möglicherweise ist er sogar erschrocken über seine eigene Tat. Dennoch verspürt er den Drang, weiter zu töten. Also braucht ein Lustmörder in dieser Situation einen Grund, um die weiteren Taten vor sich selbst zu legitimieren.«
Oppenheimer musste nachfragen, um sicher zu sein, alles verstanden zu haben. »Du meinst, es ist wie bei Schizophrenen, die behaupten, ihre Taten würden von außen gesteuert?«
»So ähnlich, nur ist es in diesem Fall keine äußere Macht, die den Mörder scheinbar beeinflusst, sondern er selbst sucht nach Gründen für sein Verhalten, um es akzeptieren zu können. Diese Vernunftgründe sind für geistig gesunde Menschen oft nur schwer nachvollziehbar. Nur mittels Ferndiagnose kann ich natürlich nicht genau sagen, woher die Wahnvorstellungen unseres Mörders rühren, doch wenn ich seine Briefe in Betracht ziehe, dann scheint er seine Taten vor sich selbst rechtfertigen zu wollen.«
»Und du meinst, der von ihn angegebene Grund, dass der Nationalsozialismus von den Huren infiziert wird, ist für ihn nicht der ausschlaggebende?«
»Den ganzen politischen Quatsch, den er da schreibt, kannst du getrost vergessen. Er macht doch ganz klar, dass er Huren hasst, weil sie Krankheiten übertragen. Es würde mich nicht wundern, wenn ihm selbst so etwas Ähnliches passiert ist. Seine persönlichen Erfahrungen projiziert er auf den Staat, was natürlich deutliche Anzeichen von Größenwahnsinn hat.«
»Wenn das stimmt, warum hat er ausgerechnet eine Hure ausgesucht, die für die SS als Spionin tätig war?«
»Das kann genauso gut reiner Zufall sein. Der Salon Kitty ist wie maßgeschneidert für unseren Mörder. Ein stadtbekanntes Freudenhaus, das von prominenten Parteikadern und Militärs frequentiert wird. Allein dieser Umstand reicht schon aus, um diesen Ort für unseren Mörder interessant zu machen. Früher oder später musste er einfach dort auftauchen. Hätte ich schon vorher von seinen Briefen gewusst, wären wir vielleicht früher darauf gekommen und hätten den letzten Mord verhindern können.«
»Etwa die Hälfte der Frauen sollen spioniert haben«, sinnierte Oppenheimer, die Zigarettenspitze im Mund. »Die Wahrscheinlichkeit, dass er eine von ihnen erwischen würde, war somit recht hoch. Der Mörder muss also nicht zwingend über die Spionageaktivitäten Bescheid gewusst haben. Eigentlich schade, sonst hätte sich der Kreis der Verdächtigen verkleinert.«
»Zumindest Pünktchen und Anton werden sich freuen, wenn sie von dem Schreiben des Mörders hören.« Vertraulich fügte Hilde hinzu: »Doch ich würde ihnen das nicht allzu schnell auf die Nase binden. Lass sie ein bisschen zappeln und versuche, für dich selbst so viel wie möglich herauszuschlagen.«
»Ich frage mich, was sie wirklich mit diesen Informationen wollen«, murmelte Oppenheimer gedankenverloren.
»Ist doch egal. So funktionieren die Nachrichtendienste. Jeder versucht, Informationen anzuhäufen. Je mehr, desto besser. Ob sie
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