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Germania: Roman (German Edition)

Germania: Roman (German Edition)

Titel: Germania: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Gilbers
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auch verwertbar sind, ist eine andere Frage. Die beiden sagen, sie wollen ihre Kollegen schützen, die gegen die Partei arbeiten. Kann sein. Vielleicht wollen sie ihre Erkenntnisse auch nur dazu einsetzen, um bessere Posten zu ergattern, wenn ihr Laden dem RSHA unterstellt wird. Mach dir keine Gedanken deswegen. Du hast jetzt die Möglichkeit, aus Deutschland herauszukommen. Nutze sie.«

    Es hatte angefangen, aus dem grau verhangenen Himmel wie aus Kübeln zu gießen, als Oppenheimer vom Beusselkiez aus nach Hause ging. Auch Hilde hatte sich darüber gewundert, dass der Mörder bei seiner letzten Tat vom bisherigen Schema abgewichen war. Insbesondere die Tatsache, dass er keinen Brief geschickt hatte, irritierte sie. Was Oppenheimer hingegen beunruhigte, war Hildes Vermutung, dass der Täter möglicherweise mit dem Schreiben von Briefen aufgehört hatte, um bald auf andere Weise mit ihnen in Kontakt zu treten. Er fragte sich, wie das aussehen würde. Oppenheimer schwante dabei nichts Gutes.
    Als er über mehrere Steinhaufen klettern musste, die den Gehweg verunzierten, ärgerte er sich über seine kaputten Schuhsohlen. Seine Socken sogen das Wasser der Pfützen auf und sorgten dafür, dass sich seine Zehen unangenehm kalt anfühlten. Dabei hatte Hilde ihm aus ihrem Fundus heute ein neues Paar Schuhe mitgegeben. Doch Oppenheimer trug sie unter dem Arm, um sie zu schonen. Immerhin war die andere Entscheidung richtig gewesen, heute einen zweiten Regenschirm mitzunehmen. Auf diese Weise konnte er seinen Verfolger im Beusselkiez an der Nase herumführen und trotzdem trocken bleiben.
    Oppenheimer hatte nur noch wenige Meter zu gehen, als er in der Ferne eine Sirene hörte, dann in der Nähe ein anderes Geräusch. Er konnte es zunächst nicht einordnen, bis er den Stahlhelm eines Luftschutzwartes erspähte. Der Mann schlug gegen einen Gong, um die Anwohner des Wohnblocks vor dem Luftangriff zu warnen. Offenbar war die nächstgelegene Sirene zerstört worden.
    Wegen des Gongs konnte Oppenheimer die Schritte seines Verfolgers nicht wahrnehmen. Dieser hatte ihn auch heute wieder bis zum Beusselkiez begleitet und kam jetzt näher. Als Oppenheimer hörte, wie jemand hinter ihm durch eine Pfütze watete, war es bereits zu spät. Plötzlich griff eine Hand nach ihm und legte sich fest auf Oppenheimers Schulter.
    Eine fremde Stimme fragte: »Richard Oppenheimer?«
    Oppenheimer wirbelte herum. Als er dem Mann gegenüberstand, wurde ihm bewusst, dass er nur mit zwei Regenschirmen bewaffnet war. Einige Meter hinter dem Fremden glitt ein Auto heran und hielt am Straßenrand. Bei den nächsten Worten des Mannes wusste Oppenheimer, dass Widerstand zwecklos war. »Sicherheitsdienst. Steigen Sie ein.«

20
    Samstag, 17. Juni 1944 – Sonntag, 18. Juni 1944
    V erdammt noch eins, wo haben Sie nur gesteckt?« Vogler war völlig außer sich. »Wir haben diesen kompletten Scheißbau auseinandergenommen, in dem Sie verschwunden waren, und nichts! Kein Kommissar Oppenheimer!«
    Das hieß, dass seine Deckung aufgeflogen war. Oppenheimer stand noch in seinem Mantel im Flur des Zehlendorfer Häuschens. Er musste sich also eine andere Möglichkeit ausdenken, um Hilde in Zukunft besuchen zu können. »Ich war spazieren gegangen, um meine Gedanken zu ordnen«, lautete Oppenheimers lahme Antwort, die umso absurder klang, da er zwei Regenschirme und ein Paar Schuhe in seinen Händen hielt.
    »Ist mir völlig egal, was Sie anstellen, solange Sie Bescheid geben! Er hat wieder zugeschlagen.«
    Oppenheimer fühlte, wie das Blut in seinen Adern gefror. Wie üblich hatten seine Begleiter im Auto geschwiegen, statt ihn vorzuwarnen. »Jetzt schon?«, fragte er beklommen.
    »Ja, jetzt schon! Traudel Herrmann, die Ehefrau eines Gruppenleiters. Vor ein paar Stunden wurde sie als vermisst gemeldet. Lassen Sie Ihre Klamotten gleich an. Sie gehen auf der Stelle nach Köpenick.«

    Er hat sie noch nicht getötet. Wir können es noch verhindern, dachte Oppenheimer, als er im Wohnzimmer der Herrmanns stand. Offenbar war der Gruppenleiter ein eitler Mensch. Überall in dem Zimmer hingen Photos von ihm in voller SS-Montur, in vollem Wichs, wie man so schön sagte. Die vor Stolz geschwellte Brust über den Bauchansatz vorgereckt, stand er da, ein kräftig gebauter Mann in den besten Jahren mit Stahlhelm und Sturmgepäck. Kaum jemand hätte diesen Mann in dem zusammengekauerten Bündel auf dem Sessel wiedererkannt. Sein Körper schien während der letzten Stunden

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