Germania: Roman (German Edition)
Schwarz eine Direktleitung zur Dienststelle des RSHA in der Prinz-Albrecht-Straße legen ließ.«
Oppenheimer blickte ein wenig verwirrt drein, so dass sich Bauer bemüßigt fühlte, weiter auszuholen. »Schwarz wurde von Schellenberg mit der Durchführung dieser Aktion betraut. Doch dieser Kretin glaubte tatsächlich, es würde uns nicht auffallen, als er kilometerweise Kupferkabel bestellt hat. Damit war klar, dass etwas im Busch ist. Im RSHA waren Dutzende von Stenotypisten nur damit beschäftigt, die Gespräche zu transkribieren, die direkt aus dem Puff übertragen wurden. Zuzüglich wurde alles auf Wachsplatten mitgeschnitten.«
»Das Bordell befand sich ursprünglich im dritten Stock«, fuhr Lüttke fort. »Nachdem das Haus eine Fliegerbombe abbekommen hatte, musste es ins Erdgeschoss verlegt werden. Wir gehen davon aus, dass dort keine neuen Abhöranlagen installiert wurden. Offiziell scheint die Aktion jetzt mehr oder weniger auf Eis gelegt zu sein. Die Ausbeute war wohl zu gering.«
»Ihren Nutten haben sie natürlich nicht Bescheid gegeben«, meinte Bauer mit einem schmierigen Grinsen. »Die glauben immer noch, sich für Volk und Vaterland bumsen zu lassen.«
»Das bedeutet, dass alle von Kittys Huren von der SS sind?«, wollte Oppenheimer wissen.
»Nein, nur etwa die Hälfte ihrer Amüsierdamen sind von der SS«, präzisierte Lüttke. »Der Rest kümmert sich mehr oder weniger um die Laufkundschaft.«
Bauer widersprach: »Das war mal. Jetzt gehen sie ganz normal anschaffen. Schreiben ab und zu ein paar Berichte und fertig. Im RSHA kümmert sich keine Sau mehr um sie. Die Sache ist eingeschlafen.« Er warf Lüttke einen amüsierten Seitenblick zu. »Schellenberg hat sich sicher schon gewundert, warum keiner unserer Jungs bei Kitty geplaudert hat.«
»Zum Glück haben wir es noch rechtzeitig bemerkt«, stimmte Lüttke zu.
Oppenheimer unterbrach die beiden. »Entschuldigung, aber von welchem Verein seid ihr überhaupt?«
»Sie sind auf unserer Seite«, erklärte Hilde kategorisch.
»Was soll das heißen, auf unserer Seite? Mit wem habe ich es hier zu tun? Warum bin ich hier?«
Lüttke und Bauer blickten ihn schweigend an. Hilde rückte schließlich damit heraus. »Die beiden stehen auf unserer Seite. Sie sind vom Amt Canaris.«
»Oder was davon übrig geblieben ist«, fügte Lüttke bedrückt hinzu.
Oppenheimer schüttelte den Kopf. »Sagt mir nichts.«
»Nun gut, ich versuche mal, es zusammenzufassen«, meinte Hilde mit einem Seufzer. »Korrigiert mich, wenn ich etwas Falsches behaupte. Es gibt hier in Deutschland zwei Organisationen, die sich mit Auslandsspionage beschäftigen. Die erste ist das Amt IV im Reichssicherheitshauptamt unter Heydrich. Seit dessen Tod ist dort Schellenberg der Oberhäuptling. Die zweite Organisation ist die Abwehr der Wehrmacht, die Admiral Canaris leitet.«
»Es gibt also zwei Apparate, die ein und dieselbe Aufgabe haben?«, fragte Oppenheimer ungläubig.
»Wundert dich das? Es muss doch einen Grund für den Riesenwuchs des Parteiapparates geben.«
»Und wenn zwei Organisationen dasselbe machen, das soll funktionieren?«
»Genau das ist der Haken«, sagte Lüttke. »Es funktioniert nämlich nicht. Hat es auch nie. Offiziell wurden die Befugnisse unserer Dienste voneinander abgegrenzt. Wir nennen es unsere Zehn Gebote. Jeder sollte in einem anderen Feld aktiv werden. Wir sollten den militärischen Bereich übernehmen.«
»Da hält sich nur kein Mensch dran«, ergänzte Bauer. »Diese Bastarde von der SS funken uns immer dazwischen. Schon als Heydrich noch lebte, lag er mit Canaris ständig im Clinch.«
Hilde warf Oppenheimer einen süffisanten Blick zu. »Du kannst dir vorstellen, was das bedeutet. Der eine Spionagedienst wildert im Bereich des anderen. Und darüber hinaus bespitzeln sie sich auch noch gegenseitig. Nun verhält es sich folgendermaßen: Canaris hat auch Leute beschäftigt, die offen gegen das Regime arbeiten. Er wusste davon und konnte sie bislang immer decken.«
»Er konnte das bis Februar, um genau zu sein«, sagte Lüttke.
Für Oppenheimer war es neu, dass jemand in den eigenen Reihen gegen Hitler opponierte. Mit einem Mal wurde ihm auch klar, weswegen eine Verbindung zu Hilde bestand. In ihrem Bekanntenkreis waren viele Leute, die gegen Hitler arbeiteten, zudem war sie die Nichte eines Offiziers. Die Wehrmacht gab es natürlich deutlich länger als die NSDAP. Die SS-Männer mochten sich so martialisch geben, wie sie wollten, offiziell
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