Germania: Roman (German Edition)
im Keller über Funk den Befehl erteilte, Männer für den Suchtrupp aufzutreiben. Der Regen hatte vor wenigen Stunden aufgehört, und als Oppenheimer endlich im Morgengrauen mit einem der Suchtrupps über die Felder ging, war die Luft zwar noch kalt, trug aber schon den Duft eines anbrechenden Sommertages mit sich.
Die Wolken waren mittlerweile verschwunden. In der Ferne ließ sich bereits der erste zarte Schimmer der Morgenröte erahnen. Es würde heute ein prächtiger Sonntag werden, ein regelrechtes Kaiserwetter. Hitlers Machtergreifung hatte jedoch auch vor dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht haltgemacht, und so nannten die Leute einen Tag mit blauem Himmel und strahlender Sonne mittlerweile schlichtweg Führerwetter.
Der Suchtrupp, dem sich Oppenheimer angeschlossen hatte, durchkämmte die Gegend nördlich von Köpenick. Weitere Trupps befanden sich am Stadtrand von Treptow und bei Schmöckwitz. Weiter nördlich suchte eine Gruppe in der Umgebung von Dahlwitz. Die Zeit drängte, denn bald würden die ersten Berliner zu ihrem Wochenendausflug Richtung Stadtrand aufbrechen. In dem großflächigen Waldgebiet würde es in wenigen Stunden von Ausflüglern nur so wimmeln, die den Schutt der Innenstadt hinter sich lassen wollten, um in der freien Natur wieder Energie zu tanken, oder zur Galopprennbahn in Hoppegarten gingen.
»Wir suchen nach einem Gebäude, das hier am Stadtrand liegt«, schärfte Oppenheimer den Männern ein. »Je abgelegener, desto wahrscheinlicher ist es, dass es als Tatort in Frage kommt. Möglicherweise ist es ein Keller.« Dort können die Schreie der Opfer nicht gehört werden, dachte er.
Ratternd fuhr die erste S-Bahn über die Schienen. Sie hatten sich mittlerweile quer durch den Wald auf ein menschenleeres Sumpfgebiet vorgekämpft.
»Es ist die berühmte Stecknadel im Heuhaufen«, sagte Vogler. Er stemmte seine Fäuste in die Seiten und blickte zu der Laubenkolonie, die sich im Morgendunst bläulich vom nahen Waldrand abhob. »Sind wir hier richtig?«
Auch Oppenheimer blieb stehen. Obwohl es noch nicht sehr warm war, schwitzte er bereits. Er wischte sich mit einem Taschentuch über das Gesicht. »Der Täter hatte nur drei Stunden, um Frau Herrmann zu entführen, aus dem Auto zu holen, in sein Verlies einzusperren und dann nach Köpenick zu fahren, um das Auto dort abzustellen. Dafür ist die Zeit sehr knapp bemessen. Er muss hier irgendwo im Bezirk sein. In dem Lehmklumpen, den ich am Bremspedal gefunden habe, waren weder Steinsplitter noch Kalk. Das Stadtzentrum ist voll davon. Zerbombte Häuser und Geröllhaufen überall. Der Täter kann sich nicht in der Stadtmitte aufgehalten haben.«
»Das Gebiet ist verdammt groß. Gruppenleiter Herrmann will einen Trupp von Hitlerjungen aus Köpenick zum Suchen rekrutieren.«
»Sehr gute Idee. Sie kennen die Verstecke in der Umgebung am besten. Ich schätze, ihnen wird nicht erzählt, dass es sich um einen Mordfall handelt?«
»Dafür habe ich schon Sorge getragen. Ich habe Herrmann genauestens instruiert.«
»Gut. Wir können kaum das ganze Gebiet absuchen. Wir müssen einfach darauf hoffen, dass wir Glück haben.«
Oppenheimer wollte gerade seinen Mantel ausziehen, als plötzlich einige Meter von ihnen entfernt Gebell ertönte. Beide Männer fuhren zusammen.
»Sie haben etwas gefunden«, sagte Vogler und rannte quer durch das Schilf zu den Hundeführern. Sie standen vor einem Holzschuppen. Als Oppenheimer endlich ankam, war Vogler bereits in die Hütte eingedrungen. Enttäuscht kam er wieder heraus. »Nichts, völlig leer. War nicht einmal abgesperrt.«
»Was war denn los? Irgendwas haben die Hunde doch gewittert!«, ereiferte sich Oppenheimer.
Die Hundeführer blickten ihn verstohlen an. Schließlich zeigte einer von ihnen ins Gebüsch.
»Dit kann passieren bei den Tieren«, meinte er mit einem verlegenen Schulterzucken.
Oppenheimer senkte enttäuscht seinen Kopf. Zwischen den Sträuchern lag ein totes Kaninchen.
Fast den ganzen Sonntag über war Oppenheimer auf den Beinen. Das Pervitin half ihm dabei. Alle vier Stunden hatte er eine Tablette genommen, um die Ermüdungserscheinungen zu bekämpfen. Als am späten Nachmittag ihre Bemühungen immer noch kein Resultat erbracht hatten, musste Vogler ihn geradezu überreden, sich von Hoffmann nach Hause chauffieren zu lassen. Oppenheimer willigte schließlich ein, als ihm bewusst wurde, dass er bereits seit sechsunddreißig Stunden nicht geschlafen hatte. Sie hatten Pech gehabt. Eine
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