Germania: Roman (German Edition)
hinterlassen hatte. Es war das übliche Kennzeichen, an dem man Mitglieder einer schlagenden Studentenverbindung erkennen konnte.
Als sie es sich im Wohnzimmer gemütlich gemacht hatten, servierte Hilde den Kaffee. Trotz des heißen Getränks blieb die Atmosphäre zunächst eisig. Oppenheimer musterte die beiden und versuchte, sie einzuschätzen. Auch Lüttke und Bauer taxierten ihn. Sie belauerten sich wie Pokerspieler, keiner von ihnen wollte als Erster zeigen, welches Blatt er in der Hand hatte. Es hätte noch minutenlang so weitergehen können, hätte Hilde nicht die Initiative ergriffen.
»Na, ihr seid mir vielleicht ein paar Geheimniskrämer«, sagte sie, nachdem sie zwischen den Männern hin- und hergeblickt hatte. »Dann werde ich mal den Anfang machen.« Hilde schaute Oppenheimer ins Gesicht. »Also, dies hier ist streng vertraulich. Nicht mal das Arschgesicht von Vogler hat die Eier, dir das zu offenbaren. Diese tote Dirne, die ihr in Steglitz gefunden habt, war Mitglied der Waffen-SS.«
19
Samstag, 17. Juni 1944
I n den folgenden Stunden wagte Oppenheimer kaum, seinen Ohren zu trauen. Die Frau, die tot vor dem Wasserturm gelegen hatte, war eine Person mit vielen Identitäten. Im Salon Kitty kannten ihre Kunden sie nur unter dem Pseudonym Friederike, ihre Wohnung hatte sie auf den Namen Edith Zöllner gemietet, doch in ihrem früheren Dasein hatte sie Verena Opitz geheißen.
Sie war eine hochintelligente Frau gewesen, sprach fließend Französisch und Italienisch. Vor ihrer Anstellung bei Kitty hatte sie auf Geheiß der SS in einer NSDAP-Ordensburg im bayerischen Sonthofen Kurse in Haushaltskunde und Gastronomie belegen müssen und wurde dort auch noch ganz nebenbei in Pistolenschießen und Judo ausgebildet. Friederike alias Edith Zöllner alias Verena Opitz war im Salon Kitty jedoch nicht die einzige Dirne mit einem solchen Hintergrund. Sie gehörte zu einem Kreis von etwa zwanzig Frauen, die von der SS ausgebildet wurden, um in Kittys Bordell die Kunden auszuspionieren. Sie sahen allesamt blendend aus, kamen aus allen Gegenden des deutschen Reiches, aus Österreich, aus dem Protektorat Böhmen und Mähren, sogar aus Polen. Jede von ihnen war vor ihrer jetzigen Karriere wegen Sittlichkeitsdelikten auffällig geworden.
»Sie spionieren für die SS«, erklärte Lüttke. »Ursprünglich unterstanden sie dem Sicherheitsdienst Reichsführer-SS, der mittlerweile im Reichssicherheitshauptamt – RSHA – aufgegangen ist. Wir glauben, dass SS-Oberführer Walter Schellenberg dahintersteckt. Er leitet das Amt IV, den Auslandsnachrichtendienst.«
Zweifelnd blickte Oppenheimer seine Gesprächspartner an. »Wie kommt man nur auf so was?« Er schüttelte den Kopf. »Selten so etwas Albernes gehört. Ich meine, Huren mit Judo-Ausbildung, die als Spione tätig sind? Das klingt genau so, wie sich Klein-Fritzchen eine Mata Hari vorstellt.«
»Die Idee dazu hatte wohl Heydrich persönlich, als er noch Chef des RSHA war.«
Bauer schnaubte bei der Erwähnung des Namens verächtlich. »Heydrich hat eindeutig zu viele Groschenromane gelesen und diesen Schwachsinn mit der Realität verwechselt.«
Oppenheimer rekapitulierte in Gedanken, was er von Heydrich wusste, um die Informationen richtig einordnen zu können. Er wusste im Prinzip nur, dass Heydrich früher Chef des RSHA gewesen war. Irgendwann hatte man ihn dann auch gleichzeitig zum stellvertretenden Reichsprotektor von Böhmen und Mähren ernannt, weswegen er nach Prag ziehen musste, um die Amtsgeschäfte zu erledigen. 1942 fiel er dort einem Attentat zum Opfer, und die Partei organisierte eine gigantische Totenfeier, als Heydrich auf dem Invalidenfriedhof beigesetzt wurde. Er wurde zum Märtyrer hochstilisiert, während andere Uniformträger stillschweigend auf seine Posten nachrückten. Wer auch immer diese beiden Besucher waren, zumindest schienen sie für das RSHA generell und für Heydrich insbesondere keine große Zuneigung zu hegen.
»Schellenberg und die Leute in seinem Nachrichtendienst sind Amateure«, fasste Bauer zusammen. »Doch genau das macht sie so gefährlich. Ihre Reaktionen lassen sich nicht einschätzen. Der Plan war, Militärs, ausländischen Diplomaten und hochrangigen Parteifunktionären im Bordell gezielt die Agentinnen zuzuführen, damit sie diese Personengruppen bespitzeln. Beim Liebesakt sozusagen. Sie hatten den Puff komplett verwanzt und konnten alles belauschen. Wir sind erst im Januar 1941 dahintergekommen, als Obersturmführer
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