Germania: Roman (German Edition)
geschrumpft zu sein, sein Gesicht war vor Aufregung gerötet, der Blick schon ein wenig glasig, als habe er bereits erfolglos versucht, sich mit Hochprozentigem zu trösten.
»Bitte denken Sie genau nach«, redete Oppenheimer ihm zu. »Jedes Detail kann wichtig sein. Also, wann genau kamen Sie gestern Nacht nach Hause?«
»Ich habe nicht auf die Uhr geschaut«, sagte Herrmann mit rauher Stimme. »Es muss etwa um drei Uhr gewesen sein. Zuerst bemerkte ich, dass der Wagen am Straßenrand stand. Ich wunderte mich, warum Gustav, das ist unser Chauffeur, das Auto nicht in die Garage gefahren hat. Das ist nachlässig. Man weiß ja nicht, was damit geschieht, wenn man es einfach so stehen lässt. Gustav ist sonst sehr gewissenhaft. Ich nahm mir vor, mit ihm am nächsten Tag ein ernstes Wort darüber zu reden. Dann ging ich gleich ins Bett und bin eingeschlafen.«
»Sie und Ihre Gattin haben getrennte Schlafzimmer?«
»Genau. Silke hatte meinen Schlafanzug nicht herausgelegt. Aber ich war so müde, dass ich nicht großartig darüber nachdachte. Bin einfach eingepennt.«
»Silke ist …«
»Unsere Hausangestellte. Wir haben sie noch nicht lange.«
»Was geschah heute Morgen?«
Herrmann stand auf und ging zu seiner Hausbar. Er goss sich einen Cognac ein. »Es war nur ein paar Stunden später. Marga Kriegler, die Freundin meiner Frau, hat es schließlich geschafft, Silke aus dem Bett zu klingeln. Sie meinte, sie habe es nach dem Alarm in der Nacht schon mehrmals versucht, doch niemand sei drangegangen. Sie erzählte, dass Gustav zusammengeschlagen wurde, ein Fremder hätte das Auto und meine Frau entführt. Ich wollte ihr zunächst nicht glauben, doch Traudel war nicht in ihrem Zimmer, und Silke hatte die beiden auch noch nicht gesehen. Da rief ich die Polizei an. Seitdem sitze ich hier und warte, dass etwas geschieht.«
»Haben Sie den Wagen zwischenzeitlich fortbewegt?«
»Nein, er steht genau an derselben Stelle, wo ich ihn gesehen habe.«
Das Auto war zumindest ein Anhaltspunkt. Oppenheimer trat hinaus in den Regen, Vogler im Schlepptau.
»Was hat Frau Kriegler gesagt?«, fragte Oppenheimer. »Wann ist der Fremde mit Frau Herrmann verschwunden?«
»So gegen zwölf Uhr.«
»Also maximal drei Stunden. Drei Stunden, um die Frau fortzuschaffen und das Auto hier abzustellen. Warum ist er das Risiko eingegangen, es zurückzubringen?«
»Möglicherweise würde in seiner Gegend eine solche Limousine auffallen«, meinte Vogler.
»Ein sehr guter Gedanke«, pflichtete Oppenheimer ihm bei. Dann widmete er sich dem Fahrzeug. »Hat schon jemand die Spuren im Wageninneren gesichert?«
»Ich wollte, dass Sie sich das als Erster ansehen.« Vogler öffnete die hintere Fahrgasttür. Oppenheimer beugte sich über das Sitzpolster.
»Leder, sehr gut. Vielleicht hat er Fingerabdrücke hinterlassen. Hm. Es hat ein Kampf stattgefunden. Ich vermute, diese Haarbüschel hier stammen von Frau Herrmann.« Oppenheimer zeigte Vogler einige Haarsträhnen, die er auf dem Rücksitz gefunden hatte. »Haben Sie ein Kuvert?«
Vogler holte einen Umschlag hervor, in den Oppenheimer die Haare steckte. Dann wandte er sich dem Rücksitz zu. »Hier ist Blut. Sieht nicht gut aus. Allerdings sind es nur ein paar Tropfen. Frau Herrmann wurde überwältigt und sofort aus dem Auto geschafft.«
Als er sich schließlich dem Fahrersitz zuwandte, hielt er inne. »Hallo.«
»Was ist?«, wollte Vogler wissen.
Oppenheimer bückte sich und holte sein Taschenmesser hervor. Dann ließ er sich von Vogler ein zweites Kuvert geben und schabte etwas vom Bremspedal ab. Nachdem er sich aufgerichtet hatte, betrachtete er die Substanz in dem Umschlag.
»Lehm«, sagte er.
Auch Vogler begutachtete den Inhalt des Umschlags. »Ein ziemlich dicker Brocken.«
Oppenheimer nahm ein Stück des getrockneten Schlamms und zerrieb ihn zwischen seinen Fingern. Fast eine Minute lang stand er so auf dem feuchten Gehsteig und starrte den Lehm zwischen seinen Fingern an. Dann kam ihm die Erleuchtung.
»Sehr gut. Wir machen Folgendes«, sagte er zu Vogler und zeigte auf das Fahrzeug. »Sofort Spuren sichern. Dann brauchen wir einen Suchtrupp, Spürhunde, alles, was wir kriegen können. Ich glaube, ich habe eine Ahnung, wo unser Täter zu finden ist.«
In der darauffolgenden Nacht hatte es wieder Moskitoalarm gegeben, doch Oppenheimer hatte sich nicht darum gekümmert. Er war die ganze Zeit auf den Beinen, lief im Wohnzimmer des Zehlendorfer Häuschens auf und ab, während Vogler
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