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Germania: Roman (German Edition)

Germania: Roman (German Edition)

Titel: Germania: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Gilbers
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wegschippen!«, befahl der Bengel und hielt ihn weiterhin fest. Doch Oppenheimer hatte etwas Wichtigeres zu tun, als die Straße freizuräumen.
    Der Mann im Ledermantel hatte ihn bereits bemerkt und lief wieder los, entfernte sich keuchend immer weiter. Oppenheimer wollte sich losreißen, aber der Hitlerjunge klammerte sich weiter an seinen Mantel.
    »Hörst du nicht, Jude?«, schrie er mit seinem Knabensopran. Oppenheimer tat, was seiner Meinung nach die Eltern des Jungen schon lange hätten tun sollen. Ohne großen Kommentar gab er ihm eine Ohrfeige.
    Oppenheimer sah nur noch, wie ihn der Hitlerjunge mit offenem Mund anstarrte, dann setzte er dem Mörder wieder nach. Als er zur nächsten Kreuzung lief, wo der Mann gerade verschwunden war, hörte er hinter sich undeutliche Rufe, doch er achtete nicht weiter darauf. An der nächsten Hausecke angelangt, blieb er abrupt stehen. Der Mann war verschwunden.
    Oppenheimer blickte nach links, doch die Gasse war leer. Auch in der Gasse zu seiner Rechten war niemand. Fieberhaft überlegte er. Der Mann konnte nicht weit gekommen sein. Zwar waren die Häuserzeilen recht kurz, doch es schien unmöglich, dass er es bis zur nächsten Seitenstraße geschafft hatte. Dennoch war der Mann wie vom Erdboden verschluckt. Oppenheimer stand vor einem Rätsel. Der Verfolgte musste durch die Trümmerwüste am Straßenrand gelaufen sein.
    Oppenheimer wollte bereits querfeldein laufen, als sein Blick auf eine offenstehende Haustür fiel. Es war möglich, dass der Verfolgte dort hineingelaufen war, entweder um sich zu verstecken oder um einen Hinterausgang zu suchen. Eine Seite des Hauses war bereits zerstört, doch der andere Teil sah immer noch bewohnt aus.
    Oppenheimer riss die Haustür weit auf und betrat das Gebäude. In dem dämmrigen Licht erkannte er undeutlich den Handlauf eines Geländers. Er versuchte, ruhiger zu atmen, und lauschte. Zuerst vernahm er nur das Pochen des eigenen Pulses. Um ihn herum war es still. Nichts schien sich zu rühren. Doch da war etwas.
    Oppenheimer horchte angestrengt. Da war es wieder. Ein Geräusch im oberen Stockwerk. Jemand musste dort sein. Wartete. Hoffte darauf, nicht entdeckt zu werden. Oder wollte er entdeckt werden? Hatte er vor, seinen Verfolger in eine Falle zu locken? Ihn hier unbeobachtet zu beseitigen?
    Vorsichtig schlich Oppenheimer die Treppe empor. Er bewegte sich leise, versuchte, plötzliche Bewegungen zu vermeiden, doch die Holzstufen knarzten.
    Es schien eine Ewigkeit zu dauern, ehe er den ersten Treppenabsatz erreicht hatte. Schweiß stand auf Oppenheimers Stirn, seine Muskeln waren angespannt. Er blieb stehen und blickte suchend ins Zwielicht.
    Doch hier war nichts. Nur ein paar Türen und der Aufgang zur nächsten Etage. Er stellte sich ans Geländer und horchte nach oben. Woher war das Geräusch gekommen? War es im nächsten Stockwerk oder weiter darüber? Oppenheimer hatte die Augen halb geschlossen, konzentrierte sich auf die Stille und versuchte, bis ganz nach oben zur Decke zu lauschen. Ein Fehler, denn das nächste Geräusch kam nicht von oben.
    Mit lautem Poltern flog eine der Türen auf. Tageslicht drang in das Treppenhaus. Oppenheimer wirbelte herum – zu spät. Eine Hand umklammerte seinen Hals, die andere drückte seinen Oberkörper nach hinten über das Geländer. Hilflos griff er nach den Handgelenken des Gegners und versuchte, sich aus der Umklammerung zu winden. Als er seinem Angreifer ins Gesicht blickte, durchflutete eine jähe Schockwelle Oppenheimer.
    Das Antlitz besaß nichts Menschliches. Wenige Zentimeter über ihm schwebten zwei kalte Insektenaugen. Anstelle eines Mundes ragte aus dem Kopf ein Schlauch hervor. Das Wesen wirkte so grotesk, als sei es einem bösen Traum entsprungen. Zischend entwich stoßweise der Atem. Da verstand Oppenheimer. Der Mann trug eine Gasmaske! Sobald er dies erkannt hatte, änderte er seine Taktik, ließ die Handgelenke des Widersachers los und packte mit einer Hand die Unterseite der Maske, während er mit der anderen versuchte, den Kopfriemen zu ergreifen. Verzweifelt riss er an der Maske, versuchte, sie zu verschieben und seinem Gegner die Sicht zu rauben.
    Urplötzlich ließ der Angreifer los. Doch Oppenheimer blieb keine Zeit zu reagieren. Mit einer raschen Bewegung hatte der Mann seine Beine ergriffen und hob sie hoch. Oppenheimer hing in der Luft.
    Panisch griff er nach hinten, da der Mann ihn über das Treppengeländer werfen wollte. Er spürte etwas Festes. Instinktiv

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