Germania: Roman (German Edition)
jedoch, wie seine Seele fror. Sie erreichten eine andere Etage. Der junge Mann zog eine schwere Tür auf, die von innen mit dickem Leder bezogen war. Wenige Zentimeter dahinter befand sich ein zweites, ebenso gepolstertes Portal. Es war eine Schleuse. Oppenheimer kannte das Bauprinzip. Diese Doppeltüren dienten dazu, Geräusche zu dämmen. Doch welche Art von Laut durfte nicht aus dem dahinterliegenden Zimmer nach außen dringen? Schreie von misshandelten Gefangenen? Wurden hier feindliche Agenten verhört? Der junge Mann öffnete die zweite Tür und wies in den Raum. »Bitte nehmen Sie Platz. Wenn Sie noch einen Moment warten möchten.«
Zögernd schritt Oppenheimer in das künstliche Licht. Verwundert blieb er stehen. Auch Vogler stutzte kurz und musterte schnell die neue Umgebung. Er verstand es recht gut, seine Überraschung zu verbergen. Mit einem satten Schmatzen fiel die Tür hinter ihnen ins Schloss. Jetzt waren sie von der Außenwelt völlig abgeschnitten.
Obwohl von draußen kein Tageslicht hereindringen konnte, war es keineswegs dunkel, denn sie standen direkt vor einer schneeweißen Leinwand. Neugierig blickte sich Oppenheimer um. In der Wand gegenüber waren zwei kleine Fenster eingelassen. Hinter ihnen starrten die gläsernen Augen der Filmprojektoren zurück. Sie waren in einem Vorführraum. Oppenheimer hatte ein solches Privatkino bislang noch nie gesehen. Die aufsteigenden Sitzreihen boten vielleicht einem Dutzend Zuschauer Platz. Der Raum wirkte geradezu trostlos, wenn er nicht benutzt wurde. Das Licht im Projektionsraum war eingeschaltet, ein Filmvorführer beschäftigte sich mit den Geräten.
»Schön, den Rundgang hätten wir also hinter uns«, knurrte Oppenheimer. »Und was kommt als Nächstes?«
Sie mussten nicht lange warten, bis sich die Tür wieder öffnete. Oppenheimer kannte das Gesicht des Neuankömmlings nur allzu gut, jeder tat das. Vor ihnen stand die Person, die über dieses Gebäude und alle Beschäftigten herrschte. Jetzt verstand er, warum der Mann vor ihnen im Volksmund auch gerne als Schrumpfgermane veräppelt wurde. Joseph Goebbels war gut einen halben Kopf kleiner als Oppenheimer.
Vogler machte dem Minister hastig Platz und salutierte. Dann blieb er wie zur Salzsäule erstarrt vor der Seitenwand stehen. Oppenheimer wusste zunächst nicht, wie er grüßen sollte. Den Hitlergruß hielt er irgendwie nicht für angebracht, schließlich war er ja Jude. Goebbels einfach so die Hand zu reichen, das schied ebenfalls aus. Stattdessen zog Oppenheimer seinen Hut und verbeugte sich höflich.
Doch Goebbels achtete nicht auf ihn. Er wirkte ein wenig fahrig, schien einen anstrengenden Tag hinter sich zu haben. Statt eines Grußes drückte er Vogler im Vorbeigehen einen Umschlag in die Hand. »Würden Sie mir das hier vielleicht erklären?«
Vogler erwachte zum Leben. Er öffnete das Kuvert und entnahm einige Kartonstücke. Die Kanten waren gewellt geschnitten, Oppenheimer wusste, dass es sich um Photoabzüge handelte. Vogler starrte bestürzt auf die Bilder. Oppenheimer trat neben den Hauptsturmführer und sah sich die Aufnahmen ebenfalls an. In kontrastreichem Schwarzweiß war zu sehen, wie vier Arme in Hakenkreuzformation auf dem Steinboden lagen. Auf einigen der Photos waren auch Teile der Reichskanzlei zu erkennen. Es waren zweifellos Aufnahmen vom gestrigen Leichenfund.
Goebbels beobachtete ihre Reaktion, die Arme verschränkt. »Na, hat es Ihnen etwa die Sprache verschlagen?«, herrschte er sie schließlich an. Sein Körper spannte sich an, die Strapazen des Tages waren vergessen. »Ich möchte eine Antwort auf meine Frage.«
Auf den Bildern fehlten die Angehörigen von Hitlers Leibstandarte, die den Fundort vor den Blicken der Öffentlichkeit abgeschirmt hatten. »Von wem sind die Photographien?«, wollte Oppenheimer wissen.
»Das tut jetzt nichts zur Sache«, erwiderte Goebbels. »Ich will wissen, was für eine Schweinerei da im Gange ist. Nun sagen Sie mal, Hauptsturmführer, mit wem oder was haben wir es hier zu tun?«
»Wir suchen einen Massenmörder«, erklärte Vogler. »Gruppenführer Reithermann hat diese Untersuchung initiiert, nachdem seine Fremdsprachensekretärin tot aufgefunden wurde.« In groben Zügen schilderte er die fünf Morde und fasste ihre bisherigen Untersuchungsergebnisse zusammen. Goebbels war nicht gerade amüsiert. »Dieser Fall wurde als geheim deklariert. Es ist unverantwortlich, dass diese Bilder nach außen gelangen konnten.«
Jetzt schaltete
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