Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Germania: Roman (German Edition)

Germania: Roman (German Edition)

Titel: Germania: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Gilbers
Vom Netzwerk:
sich Oppenheimer ein. »Ich kann sagen, dass es sich hierbei nicht um die Aufnahmen handelt, die wir vom Fundort machen ließen. Diese hier wurden früher gemacht. Ich schätze, kurz nach der Entwarnung und bevor die Leichenteile von den Leuten in der Reichskanzlei entdeckt wurden.«
    Goebbels blickte Oppenheimer aufmerksam an. Er überlegte kurz und antwortete dann: »Zu Ihrer ersten Frage: Die Bilder sind von einem Photographen, der gelegentlich für diverse Zeitschriften arbeitet. Der Herr hat bereits einen Abmarschbefehl bekommen. Wir werden sehen, ob er an der Front ebenso pflichtbewusst ist.«
    Oppenheimer fand das schade, da er den Mann gern befragt hätte. Er musste bereits vor ihnen am Fundort gewesen sein. Was hatte er dort sonst noch gesehen? Dank Goebbels gab es nun keine Möglichkeit mehr, dies herauszufinden.
    »Sind das alle Photos?«, fragte Oppenheimer.
    »Das will ich doch stark hoffen!«, bellte Goebbels. »Er hat versucht, sie an die meistbietende Zeitung zu verkaufen. Der Hauptschriftleiter eines Blattes hat mich zum Glück sofort verständigt. Ist Ihnen eigentlich bewusst, was geschehen wäre, wenn jemand diese Bilder veröffentlicht hätte?«
    Vogler grübelte vor sich hin. Er wollte wohl sichergehen, nicht die falsche Antwort zu geben. Schließlich erklärte Oppenheimer: »Vermutlich hätte das eine Massenpanik ausgelöst.«
    »Eine Massenpanik? Ja, bestenfalls. « Der Propagandaminister war einer jener Leute, die sich gerne selbst reden hörten. Durchdrungen von der eigenen Wichtigkeit, reckte den Brustkorb heraus und dozierte mit erhobenem Zeigefinger: »Ihnen ist unsere Lage womöglich nicht klar. Wir befinden uns an einem strategisch wichtigen Punkt. Durch die Vergeltungswaffe, die V1, hat die Bevölkerung wieder Vertrauen in uns gefasst. Doch diesen politischen Kredit dürfen wir jetzt nicht leichtsinnig verspielen. Insbesondere nicht, da die Totalisierung unserer Kriegsanstrengungen noch nicht einmal ansatzweise in Kraft getreten ist. Es wird noch einiges geschehen, meine Herren. Wir müssen dem Menschenluxus in der Heimat ein Ende bereiten. Das Volk muss in Zukunft noch radikaler nach wehrfähigen Männern ausgekämmt werden. Je nach Lage der Dinge wird es vielleicht notwendig sein, dass der Führer selbst unmittelbar ans Volk appelliert und einen nationalen Aufstand gegen den Feind organisiert. Aber wenn wir jetzt anfangen, solche Horrorgeschichten publik werden zu lassen, dann ist es nur ein kleiner Schritt bis zum Defätismus. So etwas können wir uns einfach nicht leisten.«
    Oppenheimer stand neben Vogler, aber er fühlte sich nicht als Teil dieser Konversation. Während der Hauptsturmführer offensichtlich zerknirscht seinem Vorgesetzten lauschte, ließ Oppenheimer seine Gedanken schweifen. In dieser Umgebung kam ihm Goebbels wie ein schlechter Schauspieler vor, der von der Leinwand herabgesprungen war. Oppenheimer musste daran denken, in welcher Lage er sich befand. Er war hier allein mit dem Minister und einem SS-Mann, dessen Waffe sich in seiner unmittelbaren Reichweite befand. Er wog die Optionen dieser Konstellation ab. Konnte er es schaffen, Vogler zu überrumpeln und die Waffe an sich zu reißen? Sollte er Goebbels erschießen? Er würde sicher nicht weit kommen. Kühl überlegte Oppenheimer, ob er das Zeug zum Märtyrer hatte. Doch würde es überhaupt etwas nützen? Würde nicht schon bald ein weiterer Nazi als Propagandaminister nachrücken? Selbst nach Heydrichs Tod hatte man die Lücke schnell wieder gefüllt, und im Reichssicherheitshauptamt war alles weitergelaufen, als ob nichts geschehen wäre. Unzählige Parteischranzen geiferten nur danach, Goebbels zu beerben. Die NSDAP kam Oppenheimer vor wie eine Hydra mit unzähligen Köpfen, die man nicht so schnell abhacken konnte, wie sie nachwuchsen. Oder dachte er das etwa nur, weil er feige war?
    Goebbels sprach auf sie ein, doch es war so, als hätte jemand den Ton leiser gedreht. Oppenheimer registrierte, wie sich der Minister beim Auf- und Abgehen behende, aber doch mit gewissen Mühen bewegte, da er einen Klumpfuß hatte. Das erinnerte ihn an einen weiteren Spottnamen, den die Berliner Goebbels verpasst hatten: Humpelstilzchen. Es war interessant, dass ausgerechnet jemand wie er eine Weltanschauung propagierte, die dem Götzenbild eines blonden Supermannes aus Kruppstahl frönte. Wie würde dies Hilde deuten? Hatte Goebbels gelernt, hart gegenüber sich selbst zu sein, um seine Behinderung zu kompensieren? War der

Weitere Kostenlose Bücher