Germania: Roman (German Edition)
auch wieder rückgängig machen können.«
»Möglich. Aber da draußen arbeitet man nicht unter Laborbedingungen. Sie werden das kaum noch abschütteln können. Ich fürchte, der Schaden, den diese Verbrecher bei den Kindern angerichtet haben, ist irreparabel.«
Oppenheimer dachte wieder an den Hitlerjungen Götz, an den Zweifel in seinen Augen. Er war sich nicht so sicher, ob Hilde dieses Mal recht hatte.
Der nächste Nachmittag brachte eine niederschmetternde Nachricht. »Das ist doch zum Knochenkotzen!«, brüllte Oppenheimer und warf den erstbesten Aktenordner quer durch den Raum. »Was soll das heißen – keiner der Verdächtigen hat jemals in Köpenick gewohnt? Es muss so sein. Ich kann mich nicht irren! Sonst ergibt die letzte Tat einfach keinen Sinn!«
Vogler saß auf dem Sofa und schaute dem Wutausbruch kommentarlos zu. Dennoch verriet etwas in seinem Blick, wie enttäuscht er war. Er wies zu Oppenheimers Zettelwirtschaft. »Wir haben alle Personen durchleuchtet, die sich auf der Tafel befinden. Wenn Sie mit Ihrer Vermutung richtigliegen, dann ist keiner dieser Leute der Täter.«
Oppenheimer atmete tief durch und fuhr bedächtig mit den Fingern durch seine Haare. »Also gut. Gehen wir anders an die Sache heran. Konzentrieren wir uns darauf, was wir haben. Der Mörder hat gestern in aller Ruhe am helllichten Tag während eines Bombardements in der Innenstadt vier Leichenteile hinterlassen. Wie kam er dorthin? Warum ist er niemandem aufgefallen?«
»Die Mitarbeiter der Reichskanzlei befanden sich noch im Bunker«, fasste Vogler zusammen. »Die Leibstandarte bewachte während des Angriffs das Hauptportal von innen. Später bei der Entwarnung bezog jeder wieder seinen Posten. Einem Sekretär sind die Leichenteile aufgefallen, als er aus dem Fenster blickte. Die vier Arme nehmen verhältnismäßig wenig Raum ein, möglicherweise hatte der Täter sie in einem Luftschutzkoffer verstaut. Das wäre nicht aufgefallen.«
Oppenheimer nahm diesen Gedanken auf. »Auffallen konnte nur der Verwesungsgeruch. Zwei der Arme hatte er bereits vor einer Woche abgetrennt. Ihrem Zustand nach zu urteilen, wurden sie nicht gekühlt. Das bedeutet, dass der Mörder nicht mit Bahn oder Bus gefahren sein kann. Den Gestank hätte jemand bemerkt.«
»Also kam er zu Fuß oder hatte ein Transportmittel zur Verfügung.«
»Transportmittel«, murmelte Oppenheimer. Den Blick zu Boden gerichtet und mit verschränkten Armen, machte er ein paar Schritte über den Teppich. »Der Täter hat einen Lieferwagen, das wissen wir inzwischen. Davon gibt es hier in Berlin nicht mehr viele, die meisten sind an der Front im Einsatz. Das müsste uns weiterhelfen. Haben wir mittlerweile den Gipsabdruck des Reifens?«
»Ich habe sicherheitshalber noch eine weitere Kopie anfertigen lassen. Wenn Sie ein Exemplar benötigen, können wir es vom Polizeipräsidium abholen. Dasselbe gilt für den Fußabdruck.«
Oppenheimer grübelte vor sich hin. Der Nachtwächter des Olympiastadions hatte angegeben, dass eine Plane über die Ladefläche gespannt war. So einen ähnlichen Lieferwagen hatte Oppenheimer während der Untersuchung schon mal gesehen. Wie ein Blitz erschien plötzlich das Bild vor seinem geistigen Auge. Der Salon Kitty. Getränke. Der Lieferwagen. Der Fahrer, der kistenweise Spirituosen herauswuchtete. Natürlich. Da konnte es eine Verbindung geben. Zumindest zwischen dem Adlon und Kittys Freudenhaus. Beide Etablissements wurden mit alkoholischen Getränken beliefert. Bei Höcker & Söhne standen gleich mehrere dieser Laster auf dem Hof.
»Sagen Sie Hoffmann Bescheid. Wir müssen sofort zum Präsidium. Ich brauche auf der Stelle den Abdruck des Reifenprofils. Es ist die einzig verlässliche Spur, die wir derzeit haben. Ich werde die Fahrzeuge bei Höcker unter die Lupe nehmen.« Oppenheimer blickte kurz auf seine Taschenuhr. Es war jetzt fünf. In einer Stunde schloss die Firma Höcker. Doch er hatte nicht den geringsten Zweifel, dass Hoffmann es mit seiner halsbrecherischen Fahrweise noch rechtzeitig schaffen würde. Sicherheitshalber rief er im Büro an, um sich anzukündigen. Am anderen Ende der Leitung meldete sich Fräulein Behringer.
»Hier Kommissar Oppenheimer. Ich möchte gleich noch vorbeikommen, um einige Details zu klären. Es wird nicht lange dauern. Spätestens um sieben Uhr bin ich im Büro. Wahrscheinlich sogar noch vor sechs. Würde das gehen?«
Ein Geräusch klang aus dem Hörer, das Oppenheimer als leisen Seufzer
Weitere Kostenlose Bücher