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Germania: Roman (German Edition)

Germania: Roman (German Edition)

Titel: Germania: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Gilbers
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Rassenwahn der Nationalsozialisten für ihn deswegen so verführerisch gewesen, weil er ihn dazu benutzen konnte, um von den eigenen Defiziten abzulenken, um sich mit reinblütigen Ariern auf dieselbe Stufe zu stellen, um damit jeden Einzelnen, der ihn jemals in seinem Leben verspottet hatte, nachträglich zu demütigen? Er beschloss, mit Hilde bei nächster Gelegenheit darüber zu diskutieren.
    Aufmerksam beobachtete er Goebbels. Das Haar des Ministers war dunkel, seine Nase ausgeprägt. Voglers Gesichtszüge waren weitaus weniger markant. Oppenheimer musste schmunzeln. In dieser Runde war er der Einzige, der noch am ehesten wie ein Arier aussah, ausgerechnet er, ein Jude.
    Nach einer scheinbaren Ewigkeit kam Goebbels endlich zum Punkt: »Um es kurz zu machen: Ich gebe Ihnen eine Woche, dann muss die Sache aufgeklärt sein.«
    »Jawohl, Herr Minister«, sagte Vogler mit erhobener Stimme.
    »Weiterer Aufschub wird nicht geduldet. Nächsten Donnerstag übergeben Sie mir den Täter und alle Unterlagen, sonst werde ich Sie persönlich dafür verantwortlich machen.«
    Vogler schluckte. »Jawohl!«
    Doch Goebbels war immer noch nicht zum Ende gelangt. Er setzte sich und richtete seinen Blick auf Oppenheimer, musterte ihn eingehend vom Scheitel bis zur Sohle. »Sie sind also Jude, Oppenheimer?«
    »Ja.«
    »Nun gut, das kann vorkommen. Zumindest scheint Hauptsturmführer Vogler großes Vertrauen in Ihre Fähigkeiten zu haben. Trotzdem sollte niemand erfahren, dass Sie nichtarischer Herkunft sind. Wenn Ihr Name nicht wäre, könnte man sich durchaus täuschen lassen. Ich nehme an, Sie haben für die Zeit der Untersuchung ein anderes Quartier bekommen?«
    Überrascht blickte Oppenheimer den Minister an. »Ich wohne in einem Judenhaus.«
    »Und morgens? Wie machen Sie es da? Fahren Sie etwa von dort aus jeden Tag zur Arbeit?«
    Oppenheimer wusste nicht, worauf Goebbels eigentlich hinauswollte. Vogler antwortete: »Einer meiner Fahrer holt ihn morgens ab. Wir haben für ihn ein Büro in der Kameradschaftssiedlung in Zehlendorf eingerichtet.«
    Mit einem Mal sprang Goebbels wieder auf. »Sind Sie denn völlig von Sinnen, Vogler? Nein, diese Herumkutschiererei quer durch Berlin muss ein Ende haben. Geben Sie Oppenheimer eine Wohnung in der Nähe. Aber auf keinen Fall in einem Judenhaus!« Er wandte sich dann direkt an Oppenheimer und befahl: »Was mich angeht, sind Sie bis zur Beendigung der Untersuchung von der Zugehörigkeit zum jüdischen Volk suspendiert. Bis dahin sind Sie als Arier zu behandeln. Punktum. Vogler wird sich um alles Nötige kümmern. Das war’s, meine Herren.«
    Oppenheimer blickte Goebbels völlig überrumpelt an. Er hatte nicht gewusst, dass selbst die Religionszugehörigkeit in den Kompetenzbereich eines Propagandaministers fiel. Was würde jetzt geschehen? Würde ihm nun wie durch ein Wunder eine neue Vorhaut wachsen?
    Der Minister verabschiedete seine Gäste mit einer fahrigen Handbewegung. Er schien sie vertreiben zu wollen wie lästige Gedanken. Den Blick bereits auf die Leinwand gerichtet, ermahnte er sie noch kurz: »Und vergessen Sie nicht, Sie haben nur eine Woche. Abtreten.«
    Die beiden gehorchten dem Befehl und entfernten sich, während das Licht um sie herum allmählich erlosch. Oppenheimer blickte sich in der Tür nochmals um. Goebbels hatte den Vorführer bereits angewiesen, den Film anlaufen zu lassen. Die Großaufnahme einer hübschen Schauspielerin huschte über die Leinwand.

    »Packen Sie Ihre Sachen«, befahl Vogler. Sie saßen wieder auf der Rückbank der Limousine. Die Hände des Hauptsturmführers zitterten immer noch. Die Begegnung mit Goebbels schien ihn zutiefst beeindruckt zu haben. »Stellen Sie alles bereit, bevor Hoffmann Sie abholt. Morgen Mittag kommen meine Leute und transportieren alles ab.«
    »Es ist nicht viel«, entgegnete Oppenheimer. »Alles in allem sind es vielleicht zwei oder drei Koffer.«
    Als Oppenheimer eine Viertelstunde später in sein Zimmer trat, lag Lisa bereits im Bett und schlief. Es war nach Mitternacht. Sacht rüttelte er sie wach. Die Sache war schließlich wichtig.
    »Morgen ziehen wir um.«
    Lisa blinzelte ihn schlaftrunken an. Sie benötigte ein wenig Zeit, bis die Neuigkeit zu ihr vorgedrungen war. Dann richtete sie sich abrupt auf. »Wer sagt das?«
    »Ich fürchte, du wirst mir nicht glauben.« Und Oppenheimer begann, seine Geschichte zu erzählen.

    Behutsam hielt Oppenheimer die zwei Konservenbüchsen aus dem Nachlass von Dr. Klein zwischen

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