Germania: Roman (German Edition)
seinen Knien. Dort waren diese kostbaren Schätze wohl noch am sichersten, während er selbst im Beiwagen von Hoffmanns Motorrad von einer Seite zur anderen geschleudert wurde und mehrere Beschleunigungsattacken erdulden musste.
Er war an diesem Morgen früher aufgestanden, um Lisa dabei zu helfen, ihre Habseligkeiten zu verstauen. Um ehrlich zu sein, hatten sie beide vor Aufregung ohnehin kaum geschlafen. Das Einräumen war schnell erledigt, da sie seit mehreren Jahren auf fertig gepackten Koffern saßen und ohnehin kaum noch was ihr eigen nannten. Da er Lisa nicht sagen konnte, wo Vogler sie einquartieren würde, schlug Oppenheimer vor, sie bei Schichtende direkt von der Gummimäntelfabrik abzuholen.
Trotz dieser Ungewissheit verließ er das Judenhaus ohne große Wehmut. Auch von den Schlesingers gab es keine große Verabschiedung. Er deponierte bei ihnen lediglich die Koffer, mit dem Kommentar, dass jemand sie abholen würde, dann bestieg er Hoffmanns Höllengefährt, holte beim Polizeipräsidium die Gipsabdrücke der Reifenspur ab und machte sich dann direkt auf den Weg zu Höcker & Söhne.
Im Büro empfing ihn Fräulein Behringer mit unheilvoll gerunzelter Stirn. »Ah, Herr Kommissar. Ich schätze, gestern hat es bei Ihnen nicht mehr geklappt?«
»Ich bin wirklich untröstlich, dass ich Sie habe warten lassen«, erwiderte Oppenheimer zerknirscht und übergab ihr die beiden Konservendosen. »Hier, zur Wiedergutmachung.« Als Fräulein Behringer die Beschriftung der Dosen in Augenschein nahm, war all ihre Unzufriedenheit wie weggeblasen. Sprachlos stand sie vor ihm und räusperte sich ungläubig. »Ich, ich weiß nicht, das kann ich nicht annehmen.«
»Aber nicht doch, das war ich Ihnen schuldig. Schließlich haben Sie gestern wegen mir den Abend im Büro verbracht.«
So ganz nebenbei registrierte er die Ebenmäßigkeit ihrer Gesichtszüge. Als sie zu lächeln begann, sprühten ihre Augen vor Lebendigkeit. Hätte er ihr die Konserven auch geschenkt, wenn sie nicht so attraktiv gewesen wäre? Oppenheimer mochte nicht weiter darüber nachdenken. Er entschuldigte sein Verhalten damit, dass er Informationen brauchte und dass ihm dafür fast jedes Mittel recht war. »Ich benötige eine Angabe«, sagte er schnell, bevor Fräulein Behringer auf ähnliche Gedanken kam. »Befinden sich die Pension Schmidt und das Hotel Adlon auf Ihrer Kundenliste?«
»Einen Moment, bitte nehmen Sie doch Platz.« Fräulein Behringer ging zu dem riesigen Aktenschrank und entnahm eine Kartei. »Ich kann Ihnen schon sagen, dass wir das Adlon ab und zu beliefert haben, das weiß ich genau, aber eine Pension Schmidt …« Sie stöberte in der Kartei, bis sie einen Eintrag fand. »Giesebrechtstraße elf?«
Bei dieser Antwort spürte Oppenheimer, wie das Blut in seinen Kopf schoss. »Korrekt.«
»Also zur Stammkundschaft gehört die Pension Schmidt nicht gerade, aber gelegentlich sind Bestellungen von dieser Adresse eingegangen. Ja, wir haben sie in den letzten Jahren mehrmals beliefert.«
Es passte alles. Hier bei Höcker & Söhne liefen sämtliche Fäden zusammen. Oppenheimer war sich jetzt sicher, auf der richtigen Fährte zu sein. Christina Gerdeler frequentierte das Adlon, um vermögende Herren als Kunden zu gewinnen, auch Julie Dufour war häufig mit Gruppenführer Reithermann in dem Hotel gewesen, das von Höcker & Söhne beliefert wurde, der Firma, in der wiederum Inge Friedrichsen als Sekretärin gearbeitet hatte. Und von derselben Firma wurde auch der Salon Kitty beliefert, dessen Angestellte mit dem Pseudonym Friederike einen gewaltsamen Tod gefunden hatte. Dies alles konnte kein Zufall sein. Zwar erklärte es noch nicht, wie Traudel Herrmann, das letzte Opfer, in dieses Schema passte, doch Oppenheimer war jetzt optimistisch, dass sich eine Verbindung finden ließe.
»Schön, ich muss dann als Nächstes alle Lastwagen Ihrer Firma inspizieren.«
Fräulein Behringer, die gerade dabei war, die Fleischkonserven in einer Schreibtischschublade zu verstauen, hielt inne. »Sie meinen, Sie haben eine Spur? Wissen Sie etwa, wer Inge ermordet hat?«
Oppenheimer zuckte mit den Schultern. »Es ist momentan nur eine Ahnung«, beschwichtigte er die junge Frau. Es war noch zu früh für einen Triumph.
Weil die Partei nach Kriegsbeginn motorisierte Fahrzeuge für die Verwendung an der Front eingezogen hatte, war deren Anblick in Berlin selten geworden. Die wenigen Autos, die in der Stadt herumfuhren, waren größtenteils Dienstwagen.
Weitere Kostenlose Bücher