Germania: Roman (German Edition)
Offenbar hatte Höcker erfolgreich seine Beziehungen zur SS spielen lassen, um sich einen kleinen Fuhrpark für sein Unternehmen zu organisieren.
Doch Oppenheimer waren diese Details egal. Eilig lief er die Treppe hinab. Er hatte Glück. Fräulein Behringer hatte ihm mitgeteilt, dass sich die Lastwagen der Firma Höcker vollzählig im Hof befanden. Sie war gerade dabei gewesen, die Lieferpapiere für die erste Fuhre vorzubereiten, als er sie mit seinem Geschenk überrascht hatte. Mit weit ausholenden Schritten näherte er sich dem geöffneten Hallentor.
Ein Mann im langen Kittel drehte sich um. Es war Häffgen, immer noch genauso griesgrämig wie bei Oppenheimers letztem Besuch. Beim Anblick des Unbefugten in seiner Lagerhalle, ob nun Kriminalkommissar oder nicht, rümpfte er die Nase. »Ah, Sie schon wieder. Was wollen Sie?«
»Ich muss die Reifenprofile Ihrer Lieferwagen inspizieren.«
»Sind Sie jetzt auch noch bei der Verkehrskontrolle?«
Oppenheimer ging nicht darauf ein. Es war besser, Häffgen vor vollendete Tatsachen zu stellen. »Wie viele Fahrzeuge besitzt die Firma?«
»Insgesamt sind es vier Lieferwagen.«
»Die übrigen drei stehen noch im Schuppen?«
»Ich schätze schon.«
Oppenheimer holte den Gipsabdruck hervor, den er in ein Tuch gewickelt hatte, bückte sich und verglich das Profil mit den Reifen des Wagens, der gerade im Hof beladen wurde. Sie stimmten nicht überein.
Als Nächstes ging er zum Schuppen, wo die übrigen Fahrzeuge standen. Ein Fahrer saß bereits in seinem Wagen und döste vor sich hin. Die vorderen Reifen der Laster ließen sich ohne Mühe mit dem Gipsabdruck vergleichen. Bei den Hinterreifen war es jedoch schwieriger, da der Himmel verhangen war und nur wenig Helligkeit in die Winkel des Schuppens fiel. Oppenheimer musste sich anstrengen, um die Profile erkennen zu können. Auf den Knien robbte er von Reifen zu Reifen, beugte sich zu der Gummioberfläche vor. Sicherheitshalber überprüfte er die Rillen noch mit seinen Fingerspritzen.
Fast eine halbe Stunde verbrachte er dort, um sicherzugehen. Selbst die Reservereifen überprüfte er. Wieder und wieder musterte er sie, bis er zu dem niederschmetternden Schluss kam, dass keiner von ihnen zu dem Abdruck passte, den der Mörder am Fundort der Leiche hinterlassen hatte.
Natürlich wusste Oppenheimer, dass sich sogenannte heiße Spuren allzu oft als trügerisch erwiesen. Deswegen war er während seiner Zeit als Mordkommissar recht vorsichtig geworden, wenn es darum ging, Schlüsse zu ziehen. Doch diesmal war er sich so verdammt sicher gewesen. Vielleicht lag es daran, dass er die wichtigen Hinweise übersehen hatte. Oppenheimer zermarterte sich das Gehirn, als er unglücklich über den Hof schritt, die Hände im Mantel vergraben, die Zigarettenspitze zwischen den Lippen. Es hätte alles so schön zusammengepasst.
Als er das Büro betrat, blickte ihn Fräulein Behringer erwartungsvoll an. »Und? Haben Sie etwas herausgefunden?«
»Leider habe ich kein Glück gehabt«, antwortete Oppenheimer mit gesenktem Kopf. »Nur eine Frage noch: War eines der Fahrzeuge diese Woche zufällig in der Reparatur? Sind Reifen ausgewechselt worden?«
»Nicht, dass ich wüsste. Eine Rechnung habe ich nicht bekommen. Und wenn ein Fahrzeug ausgefallen wäre, hätte ich Herrn Ziegler benachrichtigen müssen.« Fräulein Behringer überlegte. Dann sagte sie langsam: »Natürlich. Der Ziegler. Es gibt noch ein Fahrzeug.« Ihr Blick schweifte geistesabwesend in die Ferne, dann begann sie zu nicken.
»Was meinen Sie?«, hakte Oppenheimer nach.
»Ziegler. Karl Ziegler. Wir rufen ihn, wenn ein Lastwagen kaputt ist oder mehr ausgeliefert werden muss, als unsere vier Wagen schaffen. Er besitzt einen eigenen Laster. Nun ja, es ist eigentlich nichts weiter als eine olle Klapperkiste, die er da hat, aber wenigstens hat sie eine Ladefläche. Wenn wir Herrn Ziegler brauchen, rufe ich ihn kurzfristig an.«
»Von einem Karl Ziegler habe ich noch nie gehört. Er war nicht auf der Liste der Mitarbeiter, die mir Herr Höcker gegeben hat.«
»Er steht nicht auf der Lohnliste, weil er kein regelmäßiges Gehalt bekommt. Warten Sie.«
Fräulein Behringer ging zum Aktenschrank und zog nach kurzem Suchen eine Karteikarte hervor. »Hier, seine Anschrift und Telefonnummer.«
Oppenheimer nahm die Karte entgegen. Als er die Adresse sah, begannen seine Hände zu zittern. »Ziegler wohnt in Köpenick?«
»Das sehen Sie doch.«
»Dieser Herr Ziegler, wie ist er so?
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