Germania: Roman (German Edition)
Wie würden Sie ihn charakterisieren?«
Wie gewohnt machte Fräulein Behringer aus ihrem Herzen keine Mördergrube. »Er ist nicht sehr helle im Kopf. Redet kaum. Deswegen nennt ihn hier jeder den doofen Kalle. Außerdem, nun gut, ich halte ihn für einen Spanner.«
Oppenheimer horchte auf. »Ist etwas vorgefallen?«
»Es war eigentlich nicht der Rede wert. Nur habe ich ihn mal dabei erwischt, wie er mir unter den Rock geschaut hat. Er hatte sich direkt unter der Treppe postiert und glotzte zwischen den Stufen zu mir herauf. Seitdem trage ich hier in der Firma nur noch Hosenanzüge, sicher ist sicher.«
Die Bausteine passten zusammen. Damit war auch geklärt, wie der Mörder wahrscheinlich auf Traudel Herrmann gekommen war. Die ersten Opfer kannte er durch seine Arbeit bei Höcker. Frau Herrmann kannte er, weil er in ihrer Nähe wohnte, genau wie es Oppenheimer vermutet hatte. Sie hatten einen Verdächtigen. Jetzt mussten sie ihn nur noch finden.
24
Freitag, 23. Juni 1944
O bwohl sich Billhardt in seinen trauten vier Wänden befand, fühlte er sich in der Gegenwart seines unerwarteten Gastes alles andere als wohl. Missmutig erinnerte er sich daran, dass er in einem jähen Anflug von Gehorsamkeit diesen verfluchten Brief geschrieben hatte. Als er ihn im Polizeipräsidium weiterreichen ließ, hatte er nicht damit gerechnet, dass ihn schon am nächsten Tag jemand deswegen aufsuchen würde. Und noch weniger hatte er vermutet, dass dieser Jemand gleich ein Hauptsturmführer von der SS sein würde. Billhardt fluchte still in sich hinein. Das hatte er jetzt davon.
Trotz dieser unangenehmen Situation versuchte er, Ruhe zu bewahren. Und tatsächlich waren seine Gedanken klar wie selten zuvor. Er war in eine Zwickmühle geraten. Er musste einen Weg finden, seine Rolle herunterzuspielen. Dass er es gewesen war, der Oppenheimer auf den Fall Lutzow aufmerksam gemacht hatte, durfte auf keinen Fall herauskommen.
Der SS-Mann, der sich als Vogler vorgestellt hatte, schien es eilig zu haben. Nachdem er es abgelehnt hatte, sich zu setzen, stellte er sich einfach vor das Fenster und blickte Billhardt auffordernd an. Vage erklärte dieser: »Vorgestern Nachmittag ist er zu mir gekommen. Kommissar Oppenheimer. Ich meine natürlich, der ehemalige Kommissar. Es war genau, wie ich geschrieben habe.«
»Ich möchte es noch einmal von Ihnen selbst hören«, forderte Vogler.
»Er hatte mich in der Woche zuvor schon einmal besucht. Ich wusste zunächst nicht, dass er etwas bezweckte. Dachte, er wollte nur wieder Kontakt zu den alten Kollegen aufnehmen. Vorgestern rückte er schließlich damit heraus. Er wollte Einsicht in eine Untersuchungsakte. Ich sollte sie ihm beschaffen, aber da habe ich ihn natürlich gleich wieder weggeschickt und gesagt, dass ich so etwas nicht machen darf.«
»Um welche Untersuchung ging es?«
»Es ging um einen SA-Mann. Der Name ist Johannes Lutzow. Im September 1932 wurde er verhaftet, weil er einen Bolschewisten in seiner Wohnung überfallen hat. Lutzow hatte dabei ein wahres Blutbad angerichtet. Die Frau des Opfers wurde mit einem Messer schwer verletzt.«
»Gab es etwa Verletzungen im Scheidenbereich?«
Billhardt konnte seine Überraschung nicht verbergen. Verärgert über sich selbst, senkte er den Blick sofort wieder. Er durfte keine Emotionen zeigen. Das konnte gefährlich werden. Es war besser, nicht zuzugeben, welche Einzelheiten Oppenheimer ihm von der laufenden Untersuchung verraten hatte. »Das kann sein. Ich glaube, irgendwo gehört zu haben, dass es damals eine solche Verletzung gegeben hat. Es war ein außergewöhnlicher Fall, der sich im Präsidium schnell herumgesprochen hat. Lutzow wurde zum Tod verurteilt, doch im folgenden Jahr wurde er dann wieder entlassen. Die Amnestie des Führers, Sie wissen schon. Auch Oppenheimer hatte damals wohl von diesem Fall gehört. Er war ja zu der Zeit noch im Dienst. Und jetzt, wo er an dieser neuen Untersuchung beteiligt ist, hat er sich wieder daran erinnert und wollte, dass ich ihm die Unterlagen beschaffe. Einfach so. Natürlich habe ich das abgelehnt.«
»Hat Oppenheimer Ihnen genauer gesagt, woran er gerade arbeitet?«
Vehement schüttelte Billhardt den Kopf. »Er wollte nichts rausrücken. Nur etwas mit Frauenleichen hat er erwähnt. Ich habe ihn aber auch nicht weiter gefragt. Aus heiterem Himmel kam Oppenheimer dann mit dem Fall Lutzow an. Ich wusste zunächst nicht, was ich davon halten sollte, doch dann kam es mir verdächtig vor, und ich
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