Germania: Roman (German Edition)
Kameradschaftssiedlung vorbeigefahren. Was war mit Lüttke los? Wusste er etwa nicht, wohin sie wollten? »Wir sind zu weit gefahren!«, protestierte Oppenheimer und fasste Lüttke an die Schulter.
»Wie gesagt, wir haben noch etwas zu besprechen, bevor wir Sie in Sicherheit bringen können«, wiederholte Bauer.
»Was soll das? Hilde hat nichts davon erwähnt.«
»Nicht so schnell.« Jetzt war es Lüttke, der mit Oppenheimer sprach. »Wir haben keine Ahnung, was Karl Ziegler heute noch ausgesagt hat oder was ihm untergeschoben wurde. Wir wissen, dass der SD mit gefälschten Geständnissen arbeitet. Es wäre möglich, dass sie nachträglich versuchen, jemanden aus unseren Reihen anzuschwärzen. Diese Morde wären für Schellenberg und Konsorten ein willkommener Vorwand, um ihre Gegner ein für alle Mal auszuschalten.«
»Das haben Sie mir ja schon ausführlich erklärt, doch was soll ich da ausrichten?«
»Wenn wir Sie heute Nacht fortschaffen sollen«, erklärte Bauer ungerührt, »dann müssen Sie vorher noch mal das Verhörprotokoll durchgehen. Noch heute Abend. Weil das Regierungsviertel ständig bombardiert wird, verlagert der SD seine Abteilungen nach Wannsee. Sie haben sich dort draußen einige Villen unter den Nagel gerissen. Auch Vogler hat in Wannsee für die Dauer der Untersuchung ein eigenes Büro bekommen. Dort sammelt er alle Unterlagen zu dem Fall.«
Nur noch das Geräusch von den durch die Regenpfützen fahrenden Reifen war zu hören. Bauer wartete auf eine Reaktion, doch Oppenheimer saß in sich zusammengesunken da und dachte missmutig daran, wie viele Verzögerungen es noch geben würde. Schließlich versuchte er, sich herauszuwinden. »Denken Sie, dass das wirklich vonnöten ist?«
»Wir müssen wissen, was Vogler in dem Geständnis nachträglich hinzugefügt oder abgeändert hat. Für unseren Kontaktmann wäre es zu gefährlich und würde zu lange dauern. Doch Sie kennen den Fall, wissen, wonach zu suchen ist. Für Sie ist das eine Sache von vielleicht zwanzig Minuten.«
»Und Sie glauben, das geht so einfach? Ich soll in ein Gebäude des SD einbrechen? Dort ist doch alles doppelt und dreifach gesichert.«
Bauer ließ keinen Widerspruch gelten. »Alles halb so wild. Es herrscht sowieso großer Trubel, weil die Abteilungen gerade umziehen. Mit unserem Kontaktmann können wir das schaffen. Es ist alles vorbereitet, wir müssen gegen zehn Uhr dort sein. Wir schleusen Sie ein, und Sie suchen uns die Informationen heraus. Ganz einfach.«
Es war also bereits eine ausgemachte Sache. Oppenheimer brauchte noch etwas Zeit, um sich entschließen zu können. »Sie werden sicher verstehen, dass ich diese Entscheidung nicht allein treffen kann. Ich muss zuerst mit meiner Frau darüber reden.«
Bauer schnaubte unzufrieden. »Herr Oppenheimer, es gibt keine Alternative.«
»Herr Kollege«, schaltete sich Lüttke wieder ein, »lassen Sie ihm doch etwas Bedenkzeit. Sie haben uns bereits sehr geholfen, Herr Oppenheimer. Wir haben unsere Gründe, wenn wir Sie um diesen letzten Gefallen bitten. Für einige unserer Kollegen geht es um Leben und Tod. Ich kann Ihnen versichern, dass wir diese Entscheidung nicht leichtfertig getroffen haben. Wenn Sie zustimmen, können Sie unsere Männer vor Schlimmerem bewahren.«
Nach diesen Worten fuhr er zurück zur Kameradschaftssiedlung. Den Rest der Fahrt wurde nicht mehr gesprochen.
Bauers sonst so forsche Art war einem beleidigtem Schmollen gewichen. Oppenheimer ahnte die Meinungsverschiedenheit der beiden. Offenbar hatte Bauer ihn vor vollendete Tatsachen stellen wollen, während Lüttke glaubte, dass es genügen würde, an Oppenheimers Anständigkeit zu appellieren. Die beiden kamen ihm manchmal wie ein altes Ehepaar vor, das sich ständig in den Haaren liegt, aber doch nicht ohne einander auskommen kann.
Als sie in der Kameradschaftssiedlung eintrafen, schaltete Lüttke die Scheinwerfer aus. Das schmale Lichtband, das die Straße vor ihnen erhellt hatte, verschwand. Für menschliche Augen kaum erkennbar, glitt das schwarze Fahrzeug die letzten Meter des Weges entlang und näherte sich langsam der Wendeschleife, um dort zu halten.
Lüttke schaltete den Motor nicht aus, stets bereit, augenblicklich loszubrausen, sollte ihr Plan schiefgehen. Auch Oppenheimer fühlte sich unbehaglich. Er räusperte sich. »Also, wie gehen wir vor?«
Bauer fand seine Sprache wieder. »Ist um diese Uhrzeit sonst noch jemand im Haus?«
»Normalerweise nicht. Höchstens der Funker. Er
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