Germania: Roman (German Edition)
des Mordfalls.«
Schweigend folgte Oppenheimer ihm zum Duschraum. Natürlich reizte ihn der Fall, doch er hatte keine Ahnung, worauf er sich einließ, wenn er der SS zuarbeitete. Und dann gab es noch andere Dinge zu berücksichtigen. Oppenheimer hatte schließlich einen Arbeitsplatz, an dem er sich werktags melden musste. Wenn er dies nicht tat, würde er große Schwierigkeiten bekommen. Er wog ab, ob diese Überlegungen von seinem Gesprächspartner als Ablehnung interpretiert werden könnten. Schließlich sagte er: »Derzeit arbeite ich als Maschinenputzer.«
Vogler stand unter dem Wasserstrahl und wischte diesen Einwand beiseite. »Ihr Arbeitgeber wurde verständigt. Bis zur Aufklärung des Falles sind Sie beurlaubt.«
Oppenheimer wusste nicht, was er sagen sollte. Alles schien bereits eine ausgemachte Sache zu sein. »Wie kommen Sie gerade auf mich?«
»Ich denke, dass Sie genau der Mann sind, den wir brauchen. Sie sollen einer der besten Mordkommissare sein.«
»Ich bin nicht mehr im Dienst. Außerdem gibt es genügend Kollegen, die ebenso gut sind.«
»Nein, nicht für diesen Fall.«
Ein plötzliches Poltern unterbrach Vogler. Der Mann vom SD kam in die Umkleide gestürmt. »Schwer, fünf!«, rief er.
»Verdammt, es war doch angesagt, dass sie abdrehen!«, zürnte Vogler. »Schnell, ab in den Bunker. Wir haben keine Zeit zu verlieren.« Hastig trocknete er sich ab und griff nach seiner Kleidung.
Draußen heulten bereits die Sirenen, als sie die Treppenstufen zum Schutzraum hinabliefen. Nachdem sich die schwere Eisentür mit einem dumpfen Schlag hinter ihnen geschlossen hatte, erkannte Oppenheimer, dass sonst niemand anwesend war. Nur er selbst, Vogler und der SD-Beamte teilten sich das Kellergewölbe.
»Da wir wohl eine Weile hier unten verbringen müssen, können wir uns ja mit Ihrem Dossier beschäftigen«, meinte Vogler. Er setzte sich auf eine der Holzbänke und ließ sich von dem SD-Mann eine schmale Akte geben. Als er die Seiten durchblätterte, zog Vogler seine Brauen zusammen. Etwas hatte seine Aufmerksamkeit geweckt. »Sie waren bei Verdun mit dabei?«
»Ja.«
Obwohl es schon lange her war, konnte sich Oppenheimer immer noch genau daran erinnern, wie er damals aus dem Schützengraben ins Niemandsland gestürmt war, wo jeder Schritt ein tödlicher Fehler sein konnte. Zu dieser Zeit war er Soldat gewesen, viel zu jung, um mit dem Gemetzel konfrontiert zu werden, das Krieg bedeutete. Die Mischung aus Ungewissheit und Furcht, die er heute verspürte, war seinen damaligen Gefühlen unter Feindesbeschuss nicht unähnlich.
Voglers Mundwinkel zuckten abschätzig. Oppenheimer konnte mühelos erraten, was in ihm vorging. Er entsprach nicht dem Bild, das Hitler in unzähligen Reden immer wieder gezeichnet hatte. Oppenheimer war ein lebender Beweis gegen die Dolchstoßlegende, der zufolge es kommunistische Juden im Ersten Weltkrieg darauf abgesehen hatten, die tapfere deutsche Armee zu schwächen und zu demoralisieren. Oppenheimer waren solche Gedanken völlig fremd gewesen. In seinem jugendlichen Idealismus hatte er es damals lediglich für seine patriotische Pflicht gehalten, für sein Vaterland und den Kaiser zu kämpfen. Er hatte für seinen tapferen Einsatz sogar ein Eisernes Kreuz bekommen, zwar nur zweiter Klasse, doch immerhin. Angesichts dessen, was aus Deutschland seitdem geworden war, war es vielleicht kindisch, aber Oppenheimer war immer noch stolz auf diese Auszeichnung. Allerdings befand sich das Kreuz nicht mehr in seinem Besitz, da es von der Gestapo bei der letzten Durchsuchung des Judenhauses gestohlen worden war.
»Hm, wie ich sehe, haben Sie eine Tochter. Warum steht das hier?«
»Da hat jemand wohl gut recherchiert«, entgegnete Oppenheimer einsilbig.
Vogler raschelte mit den Blättern. »Hm, Eintritt in den preußischen Polizeidienst, zunächst Streifenpolizist, dann Kriminalmeister, schließlich Beförderung zum Kriminalkommissar. Und dann … ja.«
Ausschluss aus dem Dienst, ergänzte Oppenheimer in Gedanken seine eigene Biographie.
»Wer war eigentlich dieser Großmann?«, wollte Vogler plötzlich wissen.
Innerlich zuckte Oppenheimer zusammen. »Sie haben noch nie von Karl Großmann gehört?«
»Ich hoffte, Sie könnten mich darüber aufklären. Was war er? Ein asoziales Element?«
»Vermutlich würde man ihn heutzutage so nennen. Im Laufe der Zeit ist er ein wenig in Vergessenheit geraten. Man erinnert sich nur noch an Friedrich Haarmann oder Peter Kürten.«
Vogler
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