Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Germania: Roman (German Edition)

Germania: Roman (German Edition)

Titel: Germania: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Gilbers
Vom Netzwerk:
ihnen morgen ein paar Symptome vor. Am besten wären Gleichgewichtsstörungen, Atembeschwerden, so etwas in der Art. Lass dir was einfallen, aber übertreibe es nicht. Ich weiß doch, was für ein schlechter Schauspieler du bist. Komm morgen bei mir vorbei. Die anderen Dinge sollte ich bis dahin größtenteils abgeklärt haben.«
    »Gut. Na dann habe ich ja einiges vor.«
    »Und eine Sache noch: Wenn sich jemand bei Lisa nach dir erkundigt, soll sie sagen, dass du abgehauen bist, weil es Eheprobleme zwischen euch gab. Damit dürfte sie aus dem Schneider sein.«
    »Ich will es hoffen«, sagte Oppenheimer mit trübem Blick.
    Hilde beugte sich vor. Wie üblich konnte sie seine Gedanken erraten. »Ich werde auf Lisa achtgeben. Es ist sowieso bald vorbei. Das ist jetzt das letzte Aufbäumen der Hitler-Bande.«
    »Das höre ich schon seit anderthalb Jahren, und trotzdem ist nichts geschehen.«
    »Nein, wirklich. Die Spatzen pfeifen schon von den Dächern, dass es bald eine Invasion geben wird. Im britischen Rundfunk gibt es Aufrufe, dass die Widerstandskämpfer im Westen nicht losschlagen sollen, ehe der Befehl dazu erteilt wird. Unsere Nazis führen bald einen Zweifrontenkrieg. Dann kann es nicht mehr lange dauern.«
    »Na, ich weiß nicht.«
    Hilde nickte in die Richtung des Plattenspielers. »Zeit für Johann Sebastian?«
    »Definitiv. Was macht mein Grammophon?«
    »Es hat sich noch nicht beklagt. Aber du weißt ja, dass ich keine Verwendung dafür habe.«
    Als Oppenheimer wie allen anderen Juden befohlen wurde, seine Wertsachen abzuliefern, hatte er das Gerät bei Hilde deponiert. Es wäre sinnlos gewesen, vortäuschen zu wollen, dass Oppenheimers Grammophon und die Schallplattensammlung Lisa gehörten. Da er sowieso keine andere Option hatte, schien ihm Hildes Arche Noah von verbotener Literatur der geeignete Ort für sein Grammophon zu sein. Mit den unzähligen Schallplatten von Brahms, Bach und Beethoven wäre sie für die Zeit nach der braunen Sintflut gut gerüstet gewesen, hätte sie nur ein Gespür für Musik besessen. Mehrmals hatte er den Versuch unternommen, sie zu missionieren, doch stets vergeblich. Und so ergab es sich manchmal, dass er bei seinen Sonntagsvisiten nichts anderes tat, als stundenlang der Musik zu lauschen, während Hilde anderen Dingen nachging.
    Als Oppenheimer den Blick über seine Schallplatten schweifen ließ, um eine davon auszuwählen, sagte Hilde: »Ist ein bisschen frisch, nicht wahr? Man glaubt kaum, dass es schon Mai ist. Warte, ich habe diese Woche ein schönes Exemplar ergattert.«
    Sie kehrte mit einem Buch aus der Küche zurück. »Hier«, sagte sie, als sie ihm stolz den Band überreichte.
    Oppenheimer blätterte durch die Seiten. »Ein Hochzeitsgeschenk?«, wollte er wissen.
    »Natürlich. Aber schau mal, Ledereinband, mit eigenhändiger Widmung vom Führer.«
    Er blickte auf Hitlers Krakelei, doch der Name des Empfängers sagte ihm nichts. Er musste wohl ein ziemlich hohes Tier sein. Unwillkürlich begann Oppenheimer zu lächeln. Obwohl heutzutage fast alles rationiert war, herrschte an Exemplaren von Mein Kampf kein Mangel. Wenn man es darauf anlegte, konnte man das von Hitler verfasste Traktat wohl dutzendweise besorgen. Und Hilde war eine Expertin auf diesem Gebiet.
    »Nun ja, zur Feier des Tages«, sagte Hilde und nahm das Buch wieder an sich. Dann öffnete sie die Klappe des schwarzen Ofens, der in der Zimmerecke stand, stellte sich davor und deklamierte: »Für Stefan Zweig.« Dann warf sie die Luxusausgabe von Hitlers Mein Kampf auf die Kohlen und zündete sie mit einem Streichholz an.
    »Freu-de schö-ner Gö-tter-fun-ken!«, schmetterte ein Chor aus dem Grammophontrichter, als das Buch in Flammen aufging. Hilde drehte sich überrascht um.
    »Nicht sehr einfallsreich«, kommentierte sie Oppenheimers Musikauswahl.
    »Aber angemessen«, konterte er.
    »Ah, besser.« Hilde streckte ihre Hände der Wärme entgegen, die sich allmählich im Raum ausbreitete. Als sie sah, wie Oppenheimer mit halbgeschlossenen Augen vor dem Grammophon saß, der Musik lauschte und keine Anstalten machte zu reden, sagte sie: »Du entschuldigst mich? Ich muss noch einiges erledigen.«
    Langsam wurde Oppenheimer müde. Es gab nichts mehr für ihn zu tun. Alles war besprochen und in die Wege geleitet. Er konnte nur noch darüber nachgrübeln, wie vieles ein einziger Tag veränderte.
    Hilde arbeitete geräuschvoll im Behandlungszimmer. Oppenheimer registrierte dies, ohne sich jedoch weiter darum

Weitere Kostenlose Bücher