Germania: Roman (German Edition)
» Fast alles. Herr Oppenheimer, ich unterbreite Ihnen diese Offerte nur ein einziges Mal. Es gibt einen Mörder, den ich dingfest machen will, koste es, was es wolle. Sie bekommen die Möglichkeit, in beratender Funktion bei den Ermittlungen zu helfen. Es wird nicht zu Ihrem Nachteil sein. Sie müssen sich entscheiden, hier und jetzt. Wenn Sie dieses Angebot nicht annehmen, wird es keine zweite Gelegenheit geben.«
Oppenheimer überlegte kurz, was die Formulierung bedeuten mochte, dass ihm dies nicht zum Nachteil gereichen würde. Doch dann drängte sich ihm eine näherliegende Frage auf: »Was geschieht, wenn ich nicht darauf eingehe?«
»Das müssen Sie dann mit Ihrem Gewissen ausmachen. Ich habe nicht viel Zeit, dort draußen läuft ein Mörder frei herum. Sie können ihn aufhalten. Also, was sagen Sie?«
Das alles ist absoluter Wahnsinn, protestierte Oppenheimers Verstand. Gleichzeitig war der Gedanke überaus verlockend, sich dem stupiden Maschinenputzen zu entziehen, mit dem er seine Tage vergeudete. Voglers Blick ruhte auf Oppenheimer, während dieser versuchte, die Konsequenzen abzuwägen. Er sollte entscheiden, doch blieb ihm überhaupt eine Wahl? Oppenheimer zierte sich. Er missgönnte Vogler den Triumph, wenn er unumwunden zusagte. Stattdessen fragte er: »Wann fangen wir an?«
Die Metallplakette mit dem Totenkopf vibrierte im Wind. Darunter stand in großen Lettern die Aufschrift Blindgänger!! Lebensgefahr! . Oppenheimer schmunzelte über diese List. Wer auch immer dafür sorgen musste, ungebetene Beobachter vom Fundort der Leiche fernzuhalten, hatte einen wahren Geistesblitz gehabt. Obwohl mittlerweile unzählige Blindgänger-Warnschilder das Alltagsleben der Berliner prägten, hatten sie nichts von ihrer furchteinflößenden Wirkung verloren. Wer kein unnötiges Risiko eingehen wollte, machte einen großen Bogen um sie. Zwei SS-Männer standen in voller Montur an der Absperrung, als sich Oppenheimer mit Vogler näherte. Einer der Wächter salutierte vor dem Hauptsturmführer, bevor er die Kette nach oben hielt, um die beiden darunter hindurchzulassen.
»Ist etwas geschehen, seit ich hier war?«
Voglers schneidender Ton ließ den SS-Mann unwillkürlich wieder in Habachtstellung erstarren. Seine Hacken knallten geräuschvoll zusammen. »Nein, keinerlei Vorkommnisse, Herr Hauptsturmführer!«, antwortete er.
Oppenheimer hatte in seinem Leben selbst schon viele Befehle erhalten, sowohl von seinen Vorgesetzten bei der Polizei als auch beim Militär, doch der Ton bei der SS hatte eine andere Qualität. Er hatte wenig gemein mit dem wichtigtuerischen Schwadronieren, das er damals in der Kaserne von seinem Spieß gewohnt war. Die Leute von der SS gaben sich große Mühe, besonders zackig zu wirken, und sie besaßen die Unart, alle Wörter in Silben zu zerhacken, so dass jede einzelne Silbe mit großem Getöse ausgespuckt werden konnte. Wenn ein Ranghöherer zu seinen Untergebenen sprach, dann erinnerte dies Oppenheimer ein wenig an die Verachtung in dem Tonfall der Gestapo-Männer, wenn sie Juden drangsalierten. Er fragte sich, wie beides wohl zusammenhängen mochte.
»Kommen Sie«, sagte Vogler nun mit seiner anderen, zivilen Stimme zu Oppenheimer.
»Ist die Leiche bereits obduziert worden?«, fragte dieser.
»Es gibt gerade Probleme mit der Kommunikation, da die Telefonleitungen unterbrochen sind. Doch bald wird uns ein Funkgerät zur Verfügung stehen. Ich hoffe, den Obduktionsbericht zu bekommen, sobald er vorliegt. Wie ich bereits gesagt habe, gibt es keinen Grund, hierherzukommen. Es wurde schon alles photographiert.«
»Hm. Ich wollte diesen Ort noch mal bei Tageslicht sehen. Eine Kamera kann nicht alles erfassen. Sonst haben wir keinerlei Zeugen?«
»Nur der Luftschutzwart, der die Leiche gefunden hat.«
Sie blieben vor dem steinernen Stumpf stehen. Sie befanden sich genau an der Stelle, wo gestern früh die Tote gelegen hatte. Hinter ihrem Rücken trennte sie ein schmaler Weg von der roten Backsteinkirche, die sich über einem Absatz aus weißen Steinen erhob. Oppenheimer sah nach oben. Der Baumeister schien geradezu erpicht darauf gewesen zu sein, möglichst viele Gebäudekörper und Zinnen ineinander zu verschachteln. Das Resultat war ungewöhnlich, doch imposant.
Gegenüber waren die oberen Stockwerke der Nachbarhäuser zwischen den vier Linden hindurch kaum zu sehen. Für den Täter boten sie einen optimalen Sichtschutz.
»Es wundert mich nicht, dass wir keine Zeugen haben«,
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