Germania: Roman (German Edition)
sein Plan zum Teufel.
Vor zehn Jahren, als er noch im Dienst war, hätte er sofort gewusst, wo er den kleinen Ganoven ausfindig machen konnte. Oppenheimer hoffte inständig, dass sich die Dinge in der Berliner Unterwelt seitdem nicht geändert hatten.
Als er durch Pankow in Richtung Prenzlauer Berg eilte, stellte er zu seiner Beruhigung fest, dass ihm die Orientierung nicht schwerfiel, obwohl sich die Straßenzüge durch die klaffenden Lücken und die zerbombten Häuser verändert hatten.
Die kleine Eckkneipe, der er einen Besuch abstatten wollte, gab es noch. Wie gewöhnlich herrschte hier gegen Mittag Hochbetrieb. Oppenheimer sah viele neue Gesichter unter den Gästen, doch hinter der Theke stand immer noch unerschütterlich der dicke Karlheinz. Allerdings war die Zeit auch an ihm nicht spurlos vorübergegangen. Sein imposant gezwirbelter Schnurrbart war verschwunden, stattdessen zierte sein Gesicht jetzt der schmale Oberlippenbart, den Reichskanzler Hitler in seiner Nebenbeschäftigung als Mode-Ikone mittlerweile im ganzen Deutschen Reich populär gemacht hatte. Auch die dicke Kugel, die der Wirt einstmals vor sich hergeschoben hatte, war verschwunden. Vielleicht lag es an der Lebensmittelrationierung, dass Karlheinz seinen Umfang halbieren konnte, doch die hohlen Wangen ließen Oppenheimer vermuten, dass er schlichtweg Probleme mit dem Magen hatte. Karlheinz polierte gerade ein Bierglas und schaute durch den Raum. Bei Oppenheimers Anblick hielt er kurz inne.
»Wat kann ick Ihnen anbieten, Herr Kommissar?«, fragte er, als Oppenheimer an die Theke trat. Karlheinz hatte seine Stimme absichtlich erhoben. Wie auf Kommando verschwanden bei der Erwähnung des Wortes Kommissar einige seiner Gäste diskret aus dem Lokal.
»Ich muss mit Ede sprechen.«
»Ede? Nie jehört, diesen Namen.«
Es war das alte Spiel. In den Kreisen, in denen Karlheinz und Ede verkehrten, gab man einem Polizisten nur dann eine direkte Antwort, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Oppenheimer wusste nicht, warum, doch er hatte heute eine perfide Freude an diesem verbalen Imponiergehabe.
»Jetzt stell dich nicht blöder, als du bist«, blaffte er zurück. »Ich weiß, er ist hier Stammgast. Sag mir, wo er steckt, oder ich komme mit einer Kompanie Polizisten angerückt und nehme den Laden auseinander.«
Diese Drohung schien Karlheinz nicht im mindesten zu beeindrucken. Jedoch hatte er der Etikette der Unterwelt Genüge getan, einem Polizisten nicht ohne anfänglichen Widerstand zu gehorchen, und machte keine weiteren Zicken. »Ach, meinen Sie vielleicht den E-eduard, Herr Kommissar? Ja, ick gloob, den hab ick heute hier schon jesehen. Aber keene Ahnung, ob er noch da is.« Plötzlich brüllte er über Oppenheimers Schulter ins Lokal hinein: »He, Paule, kannste mal nachsehen, ob der E-eduard da ist?«
Ein käsig aussehender Schlaks mit Schiebermütze stand auf und starrte ihn dümmlich an. »Welcher Eduard?«, fragte er verblüfft.
»Na mach schon, du kleene Aaskröte!«, kommandierte Karlheinz.
Paule nahm noch einen herzhaften Schluck aus seinem Glas und verschwand hinter einem dicken Vorhang.
»Ich werde mal lieber selbst nachsehen«, sagte Oppenheimer. Derartig angekündigt, betrat er das verräucherte Zimmer hinter dem Vorhang. Vier Männer saßen an einem Tisch, jeder von ihnen mit Spielkarten in der Hand. Der Mann namens Paule stand verloren daneben.
»Ede?«, fragte Oppenheimer in den Raum hinein. Ein stiernackiger Mann hob den Kopf und blickte ihn mit ausdruckslosen Augen an.
»Wat wolln Se von mir?«, fragte der bullige Kerl. »Wenn Se jekommen sind, um endlich meene Rente zu zahlen, dann können Se die Moneten an der Theke lassen.«
»Gestern Nacht wurde im Grunewald ein Liebespaar in einem Auto überfallen und ausgeraubt«, log Oppenheimer. »Ich möchte mit Ihnen ein Wort darüber reden.«
»Wat kann ick dafür? Nee, nee, da brauchen Se mir nich zu fragen. Ick bin reformiert sozusagen. Ick drehe keene krummen Dinger mehr.«
»Davon will ich mich selbst überzeugen.«
»Mensch, leck ma doch de Bollen!«, antwortete Ede unwirsch und wandte sich wieder dem Kartenspiel zu.
Doch noch ehe er sein Blatt wieder in die Hand nehmen konnte, hatte ihn Oppenheimer grob am Schlafittchen gepackt und mit einer routinierten Bewegung aus dem Stuhl gehievt. Als er mit dem Ganoven im Schlepptau zum Hinterausgang polterte, protestierte Ede laut: »Dit is nich rechtens, wat Se hier machen, Herr Kommissar! Nich rechtens!«
In
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